Born in South Tyrol
Das 35. Südtirol-Jazzfestival
TEXT: Bernd Zimmermann | FOTO: Bernd Zimmermann
Es war das erfolgreichste Festival in der nunmehr 35jährigen Festivalgeschichte. Weit über 20.000 Menschen besuchten an den 10 Tagen die 70 Konzerte, die in diesem Jahr an gewohnten und neuen Orten überall in Südtirol stattfanden. Das diesjährige Credo "New Sounds - Fresh Perspectives" hätte besser nicht gewählt sein können. Setzt Klaus Widmann, der Künstlerische Leiter des Festivals nicht nur auf neue Projekte der jungen europäischen Jazzelite, sondern auch auf die Verknüpfung der Musik mit außergewöhnlich beeindruckenden Orten. Dass das bei 70 Konzerten nicht immer gelingt, ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die noch oft so jungen Künstler nicht immer ein Gespür für die für sie ungewöhnlichen Spielorte entwickeln. Aber bei welchem Festival würde überhaupt über dieses Thema diskutiert werden? Bei der Kombination von Musik und Ort geht es ja in der Regel nur um zwei Varianten. Entweder um die Symbiose von Ort und Musik oder um den oft spannenderen totalen Kontrast. Manchmal geht es aber einfach "nur" um Werbung für den Jazz und die Gewinnung neuen Publikums.
Dies alles ist Klaus Widmann und seinen vielen engagierten Mitarbeitern in diesem Jahr richtig gut gelungen. Dabei sind ihnen keine Mühen und organisatorischen Kraftakte zu groß. 170 Musiker und zahlreiche internationale Journalisten und Festivalmacher mussten kreuz und quer durchs Land geschafft werden. Und auch die Technik musste herangeschafft und installiert werden -zur Not mit dem Hubschrauber, wie beim diesjährigen Konzert an der Langkofel-Wand, wo gleich drei Vibraphone nebst Verstärker-Anlage für die Saslonch-Vibes an den Fuß der 1000 Meter hohen Wand geflogen wurden. Der luxemburgische Vibraphonist Pascal Schumacher hatte extra für dieses Konzert eine Suite für drei Vibraphonisten komponiert und beeindruckte eine Vielzahl von Zuschauern, obwohl es eines ordentlichen Fußmarsches bedurfte, um den Ort des Ereignisses zu erreichen.
Alle Konzerte auf dem Südtirol-Jazzfestival zu besuchen ist schier unmöglich - über alle etwas zu schreiben ebenso. Deshalb an dieser Stelle die herausragendsten. Viele Videoentdrücke von fast allen Konzerten kann man auf der Website des Festivals www.suedtiroljazzfestival.com finden.
Gleich am zweiten Tag überraschte der niederländische Klarinettist Joris Roelofs mit seinem "Rope Dance - Light-Footed Musik for All and None" Projekt im Museum für Modern Arts, einer Auftragskomposition für das North Sea Jazz-Festival mit Fagott, Klavier, Bass, Schlagzeug und Bassklarinette. In diesem Projekt verbindet Roelofs Nietzsches Metapher des Seiltänzers aus "Also sprach Zarathustra" mit Musik. Kammermusik mit feinsten Melodien wurden durch unerwartete Brüche zu einem spannenden Amalgam versponnen.
In einem Heustadel in Wolfsgruben auf dem Ritten spielte das David Helbock Trio auf und begeisterte die internationalen Gäste genauso wie Hotelgäste und Einwohner der Ortschaften oberhalb Bozens. In einem bergbäuerlichen Ambiente bildeten die kreativen Soundkreationen dieses führenden europäischen Jazztrios einen feinen Kontrast.
Unmittelbar danach am anderen Morgen konnten Frühaufsteher auf der Maurerberghütte vor dem grandiosen Panorama des Peitlerkofel am Würzjoch das luxemburgische Trio Reis/Demuth/Wiltgen erleben. Dies war ein Konzert das für die Symbiose der Musik und des Ortes stand. Leider hatten durch den frühen Beginn und die Abgelegenheit des Ortes (40 Minuten Gehzeit) nur Wenige den Weg zu diesem emotional beeindruckenden Konzert gefunden.
Herausragend auch das Konzert von Anne Pacheo im Sudwerk des Batzen, dem ältesten Gasthaus Bozens und Headquater des Festivals wo sich Musiker, Festivalmitarbeiter, Journalisten und so mancher Jazzfan treffen. Die französische Drummerin überzeugte bei dem Round Midnight Konzert zusammen mit der Sängerin Leila Martial (keyb), Tony Paeleman (keyb) und Christoph Panzani restlos.
Die Entdeckung des Festivals aber war das Konzert mit Sylvain Darrifourcq (dr), Manuel Hermia (sax) und Valentin Ceccaldi (cello). Sie elektrisierten das Publikum mit poly-rhythmischem energiegeladenem Klanggewitter. Kraftvoller, improvisationsreicher Modernjazz mit Anleihen aus dem Freejazz.
Kompost 3 aus Österreich, die bereits im letzten Jahr in Südtirol für viel Gesprächsstoff sorgten, spielten diesmal im Gefängnishof von Brixen auf. Lukas König (dr), Benny Omerzell (keyb), Manuel Mayr(bass) und Martin Eberle (tr, sltr) demonstrierten in beeindruckender Weise, wie sich eine Band in nur einem Jahr, von einem bereits beachtlichen Niveau kommend, mit ihrem Jazz, der in absolut keine Schublade passt, noch weiter steigern kann. Dabei überzeugte jeder Einzelne mit unbändiger Spielfreude, Kreativität und Virtuosität.
Nicht ganz so überzeugend war das Projekt Three Fall feat. Melane an der Bergstation Pichelberg in Reinswald im Sarntal. Weder Ort noch die Musik, der noch vor wenigen Jahren megamäßig angesagten Band wussten vor dem atemberaubenden Bergpanorama zu überzeugen. Die monströs eingesetzten elektronischen Effekte ließ die Musik wie "von der Stange" erscheinen. Künstlich, wie die nagelneue, den Charme einer Autobahnraststätte versprühende Pichelberghütte, die wohl im Winter zigtausende Wintersportler beim Apres-Ski abfertig.
Nicht mit Worten zu beschreiben war dann dagegen das Konzert der belgischen Formation De Beren Gieren in einem Kiefernwäldchen an der Bergstation der Jenesien-Seilbahn. Wer sich diesmal nicht shutteln ließ, sondern die Seilbahn benutzte, schwebte über satte Almwiesen in eine Konzertsituation, die man wohl selten auf der Welt antreffen dürfte. Mitten im Kiefernwald tauchte ein Flügel auf und auf einem improvisierten Holzpodest ein Schlagzeug. Äste knacken von den nach dem ultimativen Motiv durch den Wald tapsenden aufgeregten Fotografen. De Beren Gieren, ein wenig an das Esbjörn Svensson Trio erinnernd, dann an Nik Bärtsch, haben aber doch ihren ganz eigenen Stil. Die Konzertbesucher waren hin- und hergerissen zwischen der Waldatmosphäre und der äußerst spannenden Musikdarbietung.
Carate Urio, eine multinationale Truppe verzückte mit ihren äußerst gefühlvollen Stücken voller Spannung und Improvisation schon das Publikum an den Erdpyramiden auf dem Ritten. Unglücklich waren sicher nicht nur sie, sondern auch das interessierte Publikum beim Open-Air Abendkonzert auf der Wiese hinter dem Moseion. Da hatte ein Sponsor zahlreiche Gäste geladen, die sich allzu wenig für die Musik interessierte und eine Geräuschkulisse produzierte, die so gar nicht zu der Musik passen wollte. Three Fall wäre da sicherlich die bessere Wahl gewesen.
Die überwiegende Mehrzahl der Konzerte auf dem Südtirol-Jazzfestival findet unter freiem Himmel statt. In diesem Jahr hatte der Veranstalter weitestgehend Glück mit dem Wetter. Nur eine Band hatte gleich zweimal großes Pech. Die luxemburgische Großformaltion Pol Belardi's Urban Voyage musste gleich beide Konzerte wegen sintflutartigem Regen abbrechen. Im Garten des Luxushotels Laurin, mitten in Bozen, ging von einer Sekunde auf die andere ein sintflutartiger Regen auf die Musiker und das Publikum nieder. In dieser Situation zeigte der Festivalleiter Klaus Widmann, das auch er hervorragend improvisieren kann. Er entschied kurzerhand in Absprache mit der Hotelleitung und den Musikern nach einer halbstündigen Unterbrechung, das Konzert als Jamsession in der Hotelbar fortzusetzen. Ein voller Erfolg.
Das 35. Südtirol-Jazzfestival hat es in diesem Jahr wieder einmal geschafft über ganz weite Strecken den jungen Jazz des 21. Jahrhunderts zu präsentieren. Und dass in einem Ambiente, dass in der Welt seinesgleichen sucht. Die vielen neuen Projekte, das vernetzen unterschiedlicher Musiker ist in den letzten Jahren zum Markenzeichen dieses Festivals geworden und wurde so zur Geburtsstätte für viele neue Bandprojekte.