​Betonmusik hinterm Vorhang

Wer im übersättigten Musikmarkt auffallen will, braucht neben allen musikalischen Fähigkeiten vor allem Kreativität. Ein gut produziertes Musikvideo kann Wunder bewirken: Marie Daniels und ihre Band Marie Mokati ließen sich dafür von einer entrückten Naturszenerie inspirieren – heraus kam eine bildgewaltige und choreografisch bestechende Inszenierung des Titelstücks ihrer neuen EP „Pale Moon“ (siehe Rezension). So etwas lockte zum Liveauftritt der Band in den Essener Goethebunker. Aber nicht nur den gab es bei einem Doppelkonzert im Rahmen der „Betonmusik“-Reihe seitens der Essener Jazzoffensive. Den anderen Teil bestrichen Rosa Kremp und deren Jazzrockformation „Swoosh“.

Was sind schon Stilschubladen, wenn diese beiden Sängerinnen als konzeptionell denkende Bandleaderinnen ihre eigene Musiksprache entwickeln! Rosa Kremp und „Swoosh“ schwörten sich im Goethebunker auf funkige, rockige Klänge ein, aus denen heraus Rosa Kremps Gesang viel ehrliche Empfindung und ein gutes Storytelling verströmte – mit einigen ganz neuen Stücken im Gepäck, steigendem rhythmischen Drive und druckvollem Zusammenspiel seitens Philipp Humburg (Gitarre), Marcus Gulich (Bass), Johannes Still (Piano, Keyboards) und
Christoph Helm (Drums).

Marie Daniels lässt sich nicht nur von weiten Landschaften inspirieren, sondern auch von Einflüssen aus der elektronischen Popmusik. Im Goethebunker wird vor allem Gitarrist Tim Bücher zum Klangzauberer, der auch die Synthesizer bedient und in seinem Spiel weite Räume auslotet. Die spielfreudige Interaktion, an der auch Bassist Stefan Schönegg und Schlagzeuger Karl-F. Degenhardt tatkräftig mitwirken, tut ihr briges, dass auf der kleinen Livebühne umso mehr das große Fass aufgemacht wurde: Und Marie Daniels Gesang bildet einmal mehr eine reiche emotionale und darstellerische Palette ab! Entsprechend vielfältige Wege und Abwege legt sie sich dafür in ihrem Songwriting. Das gibt den sehr unterschiedlich gehaltenen Stücken viel darstellerische Kraft – live galt es umso mehr, einfach "loszulassen", vor allem im balladesken Stück „Silence“ und dem Titeltrack der EP „Pale Moon“ mit seiner treibenden, extrem stilsicher erfassten House-Ästhetik.

Dass sich eine Sängerin direkt nach ihrer Begrüßungsansage erstmal mit einem fröhlichen „Tschüss“ verabschiedet, kommt selten vor. Im Goethebunker war dies der eigenwilligen Bühnendeko geschuldet: Tatsächlich trennte eine Art halbdurchlässiger „Vorhang“ Band und Zuschauerraum. Wie kommt man auf sowas? Genug musikalische Energie drang aber trotzdem durch – dafür sorgten diese beiden spielfreudigen und stilisch wendigen Bands, die sich auch gerne in freiere Gefilde hinein stürzen!

Die junge Jazzszene in Nordrhein-Westfalen kann viel, wenn ihr dafür Entfaltungsräume gegeben sind. Zu den verlässlichen Größen gehört hier der Essener Goethebunker. Seit acht Jahren hält Arnesa Sisman in Eigenregie einen exklusiven Mehrspartenbetrieb am Laufen. Verlässliche Kooperationspartner in Sachen improvisierter Klänge sind unter anderem die Reihe „Soundtrips NRW“ und natürlich - direkt vor Ort- die Jazzoffensive Essen. Kult sind darüberhinaus die allwöchentlichen Events der elektronischen Clubkultur – mit Line-ups, die sonst auch fürs Berliner Berghain gebucht werden!