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​Befreiung der Nationalhymne

Jan Klares Band "1000" in Dinslaken

Dinslaken, 22.02.2020
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Einen kurzen Moment noch hatte Jan Klare die Idee, vorm Konzert im Dinslakener Ledigenheim gemeinsam die deutsche Nationalhymne zu singen. Aber Einigkeit als Schlüsselwort? Ein Hohn, wer dieses in einer zerbröselnden politischen Kultur noch fröhlich singend anstimmt? Der Plan wurde als zu gewagt, als zu anfällig für Missverständnisse wieder verworfen.

Mit seinem Projekt „Anthems“ macht Jan Klares Band „1000“ die Nationalhymen zum künstlerischen Material - und das läuft auf der bereits im Jahr 2016 vorgelegten CD und ihrer Aktualisierung bei einem eindringlichen Konzert im Dinslakener Ledigenheim keineswegs auf Destruktion und noch weniger auf platt unterhaltsame „Verjazzung“ hinaus. Man könnte hier schon eher von Liebeserklärung, von Befreiung reden. Denn so wirket es, wie bei Jan Klare sowie Bart Maris, Trompeten, Wilbert de Joode, Bass, und Frank Rosaly und – neu dabei! - der Cellistin Elisabeth Coudoux pure Freude am Musikmachen aufkam.

Die subjektive Auswahl der Hymnen rückt gerade jene Länder ins Rampenlicht, die auf tragische Weise und zum Schaden der dort lebenden Zivilbevölkerungen zum Spielball fremder Mächte geworden sind – vor allem um Syrien und Afghanistan geht es, später auch um Kambodscha.

Fröhlichkeit und Lebenshunger suggeriert, wenn die Band die Melodien der Hymnen aus ihrem formalen, steifen Ritus befreit - was sich vor allem in den polytonalen Reibungen zwischen dem Saxofon- und Querflötenspiel von Jan Klare und der Trompete bzw. Pocket Trumpet von Bart Maris offenbart. Was die Rhythmusgruppe, vor allem der extrem wandlungsfähige Schlagzeuger Frank Rosaly in allen erdenklichen Aktionen, Akzenten, Verwirbelungen veranstaltet, wirkt nicht minder wie ein Appell: Das Leben der Menschen ist zu bunt, zu emotional, um sich der Herrschaftsform des rigiden Viervierteltakts unterzuordnen. Als neue Bereicherung in der Band lebt Elisabeth Coudoux auf ihre Cello den puren Freiheitsdrang, der ihr Markenzeichen ist. Zwischen fröhlichen, manchmal angesichts der zeitgeschichlichen Hintergründe grotesk fröhlichen Parts verlassen die Musiker immer wieder das schützende Vehikel der Tonalität, wildern in freier Kollektivimprovisation, die sich so unberechenbar wie die Lebenswirklichkeit gebärdet.

In Ländern mit unsteten politischen System wechseln oft die Nationalhymnen. Allein Afghanistan und Kambodscha liefern Material für ein abendfüllendes Programm. Auf seinem Bass thematisiert Wilbert de Joode ein besonders bizarres zeitgeschichtliches Kapitel: Von den Taliban wurde mal mal die ganze Musik als solche verboten. Wilbert de Joode spielt also minutenlang – nichts! Oder sagen wir - fast nichts, wenn er den Bogen so langsam wie möglich über die tiefste Saite führt. Nur ein einziges versprengtes Mobiltelefon im Publikum durchdringt das unheimliche Vakuum. Haben böse Menschen keine Lieder? Dieser Satz ist erwiesenermaßen falsch. Eine der fröhlichsten, euphorischsten Melodien an diesem Abend steht für eines der schrecklichsten Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte, nämlich der völkermordenden Terrorherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha. Weiter gehende Bezüge zu den einzelne Stücken möchte Jan Klare zwischen den Stücken nicht erläutern, denn dies würde zu weit führen, wo doch dieses Musikerlebnis zuhauf eigene Assoziationen in Gang bringt und viel mehr Fragen evoziert, als vorgefertigte Antworten zu liefern. Dann kommt auch mal das eigene Land und seine unmittelbare Nachbarschaft unters Seziermesser, prallen das Deutschlandlied und die Marseillaise in einer Collage aufeinander.

„Anthems“ ist Work in Progress und ergebnisoffene Reflexion zugleich. Von einem lässt sich auf jeden Fall ausgehen: Anthems wird beim nächsten Mal wieder anders klingen in Zeiten, in denen vieles im Wandel und wenig vorhersehbar ist – warten wir es ab. Nein! Gestalten wir die Dinge aktiv!

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