Zum Internationalen Frauentag
Musik von Lindsay Cooper in Bonn
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Vor der Tür des Dialograums Kreuzung an St. Helena in Bonn bildet sich eine Schlange. Die Konzertgäste müssen warten, der Soundcheck ist noch nicht beendet. Durch die Tür dringen ein hartes Schlagzeug, Gesangsfetzen, Saxophon- und Fagottklänge. Es klingt nach experimentellem Jazzrock der Siebziger. Die In Situ Art Society hat etwas ganz Spezielles organisiert. Es ist ein Konzert zum Internationalen Frauentag, das die Musik der britischen Fagott- und Sopransaxophonspielerin und Komponistin Lindsay Cooper (1951-2013) zelebriert. Sie hat die Avantgarde Jazz- und Rockmusik in England nachhaltig geprägt. Lindsay Cooper brachte das Fagott und ihre Erfahrung mit Neuer Musik in die experimentelle Rock- und Jazzszene. Nach ihrem klassischen Fagott Studium, wurde sie Mitglied der Royal Academy of Music. Während ihres einjährigen Aufenthaltes in New York, Ende der sechziger Jahre, wuchs ihr Interesse an experimenteller Musik und als sie zurück nach England kam schloss sie sich der sogenannten Canterbury Szene von experimentellen Jazzrockbands an. Sie spielte erst bei der progressiven Rockband Comus und war von 1974 bis 1978 Mitglied der von Fred Frith und Tim Hodgkinson gegründeten Avantgarde Band Henry Cow. In dieser Zeit wurde sie zu einer der wichtigsten Musikerinnen der progressiven Musikszene Englands. Lindsay Cooper spielte auch in den Bands National Health, News from Babel und war 1978 eine der Gründerinnen der Feminist Improvising Group. Gleichzeitig schrieb sie Filmmusik und brachte eine Reihe Soloalben heraus. Lindsay Cooper konnte ab 1998 nicht mehr auftreten, aufgrund ihrer Multipler Sklerose Erkrankung, an der sie 2013 auch starb.
2014 führten ihre Weggefährten*innen, wie Chris Cutler Fred Frith, John Greaves, Tim Hodgkinson, Sally Potter und Dagmar Krause ihre Musik auf dem London Jazzfestival auf. Aus diesem Projekt entstand später unter Leitung von Yumi Hara die Band Half The Sky, zu der auch Chris Cutler gehörte, die Stücke von Lindsay Cooper in Japan spielte.
Die Band Lindsay Cooper Songbook besteht aus drei Mitgliedern von Henry Cow: Chris Cutler am Schlagzeug, Tim Hodgkinson an Klarinette und Altsaxophon und Dagmar Krause Gesang. Weitere Bandmitlieder sind Yumi Hara an Klavier, Keyboard und Harfe, Mitsuru Nasuno am E-Bass, Chlöe Herington an Fagott, Sopransaxophon und Melodica. Atsuko Kamura übernimmt für Dagmar Krause den Gesang, die aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein kann.
Lindsay Cooper Songbook besteht paritätisch aus Frauen und Männern, wie auch ihre Vorgänger Band Half the Sky, deren Namen nach dem chinesischen Sprichwort: Die Hälfte des Himmels ist weiblich, gewählt wurde. Auch Henry Cow und News from Babel hatten Genderparität.
Henry Cow war immer eine politische Band, die sich als Teil der linken Protestbewegung der 60er und 70er begriff. Lindsay Coopers Musik und die Texte von Chris Cutler richteten sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung und für die Gleichberechtigung der Frau. An diese Tradition knüpft das Konzert an.
Chris Cutler eröffnet mit wuchtigen Schlägen auf sein Schlagzeug das Konzert. Yumi Hara, eine renommierte Komponistin und Musikern, sitzt am Klavier, greift dann zur Harfe, spielt bei Bedarf auch Keyboards und unterstützt mit ihrem Gesang Atsuko Kamura. Sie ist die treibende Kraft hinter dem Lindsay Cooper Songbook.
Fagott und Sopransaxophon spielt Clöe Herington, von den Instrumenten her hat sie den Platz von Lindsay Cooper. Clöe Herington spielt in so unterschiedlichen Bands wie Knifeworld und Chrome Hoof. Letztes Jahr hat sie ihr erstes eigenes Album herausgebracht: Välve.
Mitsuru Nasuno sitzt mit seinem E-Bass ohne viel Bewegung auf seinem Stuhl. Aber er sorgt nicht nur für den Rhythmus, sondern setzt auch deutliche Akzente. Er ist ein umtriebiger Improvisationsmusiker, der in vielen bekannten Bands und Projekten in Japan und International spielt. 2015 trat er mit der Band Hope, in der auch Chris Cutler spielte,auf dem Frankfurter Jazzfestival auf. Tim Hodgkinson, der neben Cutler auch bei Henry Cow spielte, sitzt mit Filzpantoffeln neben der barfüssigen Clöe und spielt Klarinette und Altsaxophon.
Das Lindsay Cooper Songbook, spielt Progressiv Rock, Jazzimprovisationen, experimentelle Musik oder einfach nur spannende Musik. Wäre es eine deutsche Band, dann würden sie in die Krautrock Schublade gepackt, in England spricht man von der Canterbury Szene. Beide Begriffe sind natürlich viel zu unscharf und eine Fülle an unterschiedlicher Musik befindet sich in diesen beiden Schubladen. Lindsay Cooper hat die meisten Stücke in den 70ern geschrieben, aber die Band improvisiert in der Jetztzeit zu dieser Musik. Das Bandprojekt zollt einer großen Musikerin Respekt, aber vor allem deshalb weil die Stücke auch heute noch etwas zu sagen haben.
Und es gibt in Bonn auch viel Publikum, das die Musik von Lindsay Cooper hören möchte. Der Konzertsaal ist gut gefüllt und das Publikum spendet reichlich Beifall. Dank an die In Situ Art Society für das ungewöhnliche und hervorragende Konzert. Besonders geht der Dank an Pavel Borodin, der sich besonders für dieses Konzert engagiert hat. Für ihn war die Band Henry Cow die erste Begegnung mit experimenteller Musik, die nachhaltigen Einfluss auf ihn hatte. So war es für ihn auch ein persönliches Anliegen die Musik von Henry Cow noch einmal aufleben zu lassen.
Chris Cutler und Tim Hodgkinson kommen auch im Mai zum Soundtrip NRW und spielen vom 3.-10.5. mit verschiedenen Musikern in acht NRW Städten. Am 8. Mai spielen sie in Bonn im Dialograum Kreuzung an St. Helena mit Michael Heupel (Flöten) und Georges Paul (Tenorsaxophon und Kontrabass).
Siehe auch Fred Frith Konzertbericht:
/reviews/step-across-the-boarder-fred-frith-trio-im-stadtgarten