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Zukunft war gestern

Eindrücke von den Wittener Tagenen für neue Kammermusik.

Witten, 10.05.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Claus Langer (WDR)

Während zahlreiche Veranstaltungen für zeitgenössische Musik mühevoll ihre Relevanz zu beweisen versuchen, lieferten die 57. Wittener Tage für neue Kammermusik vom 2. bis 4. Mai unter dem Motto "Upcycling" schlicht die Gewissheit, dass sie zeitgemäßer denn je sind. Den unbestrittenen Höhepunkt bildete der Auftritt des Trickster-Orchestra am Samstagabend – als sich im Anschluss der frenetische Beifall entlud, vermittelte sich das subjektive Gefühl, dem relevantesten Festival des zeitgenössischen Musikschaffens beizuwohnen.

Das Trickster Orchestra schlug eine kraftvolle Bresche für transkulturelle Kompositionsansätze und demonstrierte in schillernden Nuancen, welche Transformationen entstehen, wenn die intellektuell geprägte Avantgarde-Szene durch kulturelle Diversität neue Impulse erfährt. Die Verleihung des WDR-Liminal-Musik-Preises (vormals "Weltmusikpreis") an die von Cymin Samawatie dirigierte Formation erschien in diesem Kontext als folgerichtige Entscheidung. In ihrem Auftritt traten Holzblasinstrumente östlicher und westlicher Provenienz in einen faszinierenden Dialog mit differenziert eingesetztem Blech und Perkussion. Das Ensemble schien gemeinsam zu elementaren Ursprüngen musikalischen Ausdrucks vorzudringen, während es gleichzeitig voller Neugier das Terrain jazziger Phrasierung erkundete. Die kollektive Improvisation fungierte dabei als Katalysator, der die Interpreten zu außergewöhnlichen Darbietungen animierte. Es erscheint symptomatisch, dass sich in diesem Umfeld auch eine opulente Jazz-Komposition von George Lewis, der persönlich anwesend war, organisch einfügte. Besonders das virtuose Solo von Wu Wei auf der Sheng, der chinesischen Mundorgel, löste spontanen, enthusiastischen Applaus aus. Sämtliche Instrumentalisten transzendieren ihre technischen Möglichkeiten, darunter auch die Klarinettistin Annette Maye . In einer zeremoniellen Geste verteilte Cymin Samawatie Blüten im Raum – eine poetische Reminiszenz an die stets präsente spirituelle Dimension des Klangs.

Wenn Leute rausgehen, kann Das ein Qualitätsmerkmal sein

Der punktuelle Exodus einiger Konzertbesucher darf durchaus als Qualitätsmerkmal eines Festivals für experimentelle Musik gewertet werden, das dem akademischen Habitus der etablierten Szene die pulsierende Energie unmittelbarer Erfahrung entgegensetzt. Genau solche Polarisierungen sind notwendig – zumal sie künstlerische Exzellenz in keiner Weise ausschließen. Bereits die Eröffnungsveranstaltung offenbarte die Innovationskraft des kuratorischen Konzepts unter der künstlerischen Leitung von Patrick Hahn: Das Ensemble Musikfabrik und das Ensemble Scope präsentierten mit der Performerin Ria Rehfuß eine Darbietung von beeindruckender Intensität. Heterogene Stilelemente – von elektronischen Soundscapes über orchestrale Strukturen bis hin zu dezidierten Noise-Elementen – verschmolzen zu einem verstörend-atemlosen, in seiner Wucht kaum zu ignorierenden Gesamtkunstwerk. Die vielschichtige Inszenierung reflektierte kritisch die mediale Repräsentation von Gewalt und deren gesellschaftliche Implikationen.

Der programmatischen Linie folgend, stellte das Festival mit Cassandra Miller eine Komponistin ins Zentrum mehrerer Konzerte – eine dramaturgisch kluge Entscheidung, die den Rezipienten einen substantiellen Verständnisgewinn ermöglichte. Ihre musikalische Sprache konterkarierte nachdrücklich das verbreitete Vorurteil, zeitgenössische Kompositionen entzögen sich dem natürlichen Empfinden. Durch die systematische Integration der vollständigen Obertonreihe erschuf Miller einen Klangraum von unmittelbarer Sinnlichkeit. Die facettenreichen Interpretationen, nicht zuletzt durch das Kuss-Quartett, eröffneten akustische Dimensionen, die weit über das momentane Hörerlebnis hinausreichten.

Johannes Kreidlers Performance „Wittener Seufzer" erwies sich als unterhaltsames Happening, dessen künstlerische Substanz jedoch partiell hinter seiner provokativen Oberfläche zurücktrat. Ein Death-Metal-Vokalist artikulierte archaische Laute, während sein Partner Namen von AfD-Politikern rezitierte. Das anschließende akustische Duell mit einem Laubgebläse ließe sich als Persiflage auf geistiges Kleingärtnertum interpretieren – die Deutungshoheit blieb jedoch dem individuellen Besucher überlassen. Immerhin: Für kinetische Belebung im Märkischen Museum war gesorgt.

Poetische Texturen zogen in einen emotionalen Sog hinein

Der Abschluss mit dem WDR Sinfonieorchester unter Elena Schwarz geriet zum Triumph für den Cellisten Nicolas Altstaedt. Mit expressiver Gestik und technischer Souveränität brillierte er in Malika Kishinos anspruchsvollem Cellokonzert. Sein grundierter, substanzreicher Klang – sein unverkennbares Markenzeichen – elektrisierte das gesamte Ensemble. Den finalen Akzent setzte wiederum Cassandra Miller mit „BISMILLAH MEETS THE CREATOR IN SPRINGTIME", das sie gemeinsam mit Silvia Tarozzi auf der Bühne realisierte. Aus dekonstruierten Elementen entwickelten sich frei florierende akustische Biotope von bemerkenswert poetischer Textur, die das Publikum in ihren emotionalen Sog zogen.

Patrick Hahns kuratorische Vision, geprägt von transkultureller Offenheit, hat die Signifikanz der Wittener Tage im zeitgenössischen Diskurs nachhaltig gefestigt. Bemerkenswert war zudem die substantielle Beteiligung von Künstlern aus Nordrhein-Westfalen – prominent in der spektakulären Musikfabrik-Produktion zum Auftakt –, wodurch das kreative Potential der Region angemessen zur Geltung kam. An diesen drei Festivaltagen konnte man sich nicht satthören an jenen experimentellen Ansätzen, für die es im konventionellen Musikbetrieb mit seiner notorischen Risikoavermeidung normalerweise kaum Lebensräume gibt. Die signifikante Präsenz junger Besucher unterstrich die neue Zugänglichkeit einer Veranstaltung, die zeitgenössische Musik in ihrer mannigfaltigen, dynamischen und intellektuell anspruchsvollen Komplexität präsentiert – und dies in einer so nahbaren Form wie nie zuvor.



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