Zeitlose Zukunftsvisionen
Re.Calarami definieren den Fusion Jazz neu
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Der Krefelder Jazzherbst hat dem Jazz ein neues Publikum erschlossen, denn das Konzertpublikum, das jedes Jahr das Glasfoyer füllt, ist ein anderes als der Personenkreis, der die regelmäßigen Veranstaltungen im Jazzclub Krefeld besucht. Auf diesen Umstand wies Christoph Kuntze vom Jazzclub Krefeld hin, was zeigt, dass es sich immer auszahlt, den Jazz an neue Orte zu bringen und „raus aus dem Keller“ zu holen. Keine Frage: Der Jazzkeller des Jazzclubs ist natürlich ebenso eine tragende Säule des Krefelder Kulturlebens geblieben.
Im Glasfoyer wurden in diesem Jahr die Platzkapazitäten sogar noch erweitert, eben weil die Nachfrage nach den Konzerten groß war. Enttäuscht wurde niemand im Jahr des 40. Bestehens des Jazzclubs Krefeld – nicht zuletzt, weil der Jazzherbst wieder drei sehr unterschiedliche, spannende Facetten des Jazz präsentiert hat. Mit der Band Rymden (mit dem norwegischen Pianisten und Keyboarder Bugge Wesseltoft und Musikern aus der Band des legendären, früh verstorbenen Pianisten Esbjörn Svensson) hat eine echte All-Star-Besetzung begeistert. Der diesjährige Jazzherbst zeigte aber: Auch das Potenzial der reichhaltigen und vitalen Jazzszene in NRW kann der internationalen Prominenz ohne weiteres das Wasser reichen. Andre Nendtzas Band hatte hochkarätige, klassische Tugenden zum Swingen gebracht, mit einer Präzision und Stilsicherheit, die ihresgleichen sucht.
Diese ewigen Referenzen klingen auch heute noch hochaktuell
Und nun, zum Finale, die Band Re.Calamari, die in Köln ihre Basis hat: Im vollbesetzten Glasfoyer legten Oliver Lutz (Bass), Tineke Postma (Saxofon), Pablo Held (Keyboards) und Peter Gall (Schlagzeug) gleich ihre Referenzen offen. Es geht um die Prägung durch eine der wohl einflussreichsten Aufbruchsstimmungen in der jüngeren Musikgeschichte, als sich Ende der 1960er Jahre und in den frühen 1970er Jahren die Grenzen zwischen Jazz und Rock auflösten, harmonische Räume erweitert wurden und neue Klangfarben für Zukunftsvisionen entstanden. Dass dies alles eine starke Ausstrahlung auf den heutigen Jazz hat, macht die Band Re.Calamari hörbar, aber eben ohne sich darauf auszuruhen. Denn alles wirkt hier wie eine individuelle Neuerkundung aus dem Erfahrungsschatz der heutigen Gegenwart heraus. Bandleader Oliver Lutz lenkt die Geschicke in seinem melodiösen, extrem differenzierten E-Bassspiel – und ja, eigentlich ist schon in diesen ausgiebigen Basslinien die Dramaturgie der ganzen Musik gebündelt. Schlagzeuger Peter Gall agiert komplex und auch sehr sensibel. Pablo Held zeigt sich nicht nur als begnadeter Jazz-Pianist, sondern ebenso als fantasievoller Klangsucher auf Fender Rhodes und diversen Analog-Synthesizern. Die Niederländerin Tineke Postma hat sich als ausdrucksstarke Saxophonistin längst im neuen künstlerischen Zuhause dieser Band eingerichtet und fühlt sich in die eleganten Linien des kollektiven Spiels intuitiv und zupackend ein. Als noch viel wichtiger erwies sich das große, verbindende Ganze, das hieraus entstand. Alles floss und strömte mit einer Präzision, hinter der viel geleistete Arbeit für die aktuelle CD-Aufnahme steht. Auch das war hörbar.
Die Inspirationen für Re.Calamari kommen aus dem Heute: Pablo Held und Oliver Lutz sind leidenschaftliche Computerspiel-Freaks, und das geteilte Hobby ist auch wieder Inspirationsquelle für musikalische Ideen: In diesem Fall für hitzige Neobop-Strukturen, die sich einer besonders virtuosen Nummer fast überschlagen. Dieser zeitlose Jazzrock mit seiner erfrischenden Aufgeklärtheit nährt sich eben ständig neu aus der Gegenwart, um in die Zukunft zu blicken.
Wer beim Abschlusskonzert das neue Album erwarb, nahm auf jeden Fall ein besonders exklusives Weihnachtsgeschenk mit nach Hause. Denn offiziell erscheint die CD (und Schallplatte) erst im April auf dem Klaeng-Label.