Zeit durchs Prisma gebrochen
Florian Webers Trio Electric
TEXT: Rainer Schmidt | FOTO: Rainer Schmidt
Angetreten ist Florian Weber beim letzten Saisonkonzert von "Jazz in Gütersloh", um ein "elektrisches" Trio vorzustellen. Das Gütersloher Publikum ist verwöhnt durch "große Namen" der amerikanischen Jazzszene. Allein seit der Jahrtausendwende waren unter anderem Ron Carter, Benny Golson, Dave Holland oder das Sun Ra Arkestra zu Gast, und das zumeist in intimer Clubatmosphäre im engen Saal eines aufgelassenen Jugendzentrums, in dem der 2009 in den Ruhestand gegangene umtriebige Impresario Josef Honcia einst als Sozialarbeiter wirkte. Nach wie vor bleiben bei modernem Jazz europäischer Prägung so einige Sitzreihen im Saal des 2010 eingeweihten Theaters leer – so auch heute.
Die Besetzung hatte der aus Detmold stammende Pianist kurzfristig verändert. Aus dem seit seinen Bostoner Collegetagen bestehenden Trio "Minsarah" hatte Weber statt Jeff Denson Schlagzeuger Ziv Ravitz dabei, den Basspart übernahm Robert Landfermann .
Verwundert nahm man zur Kenntnis, dass im Eröffnungsstück "Filaments" anstelle der Elektronik der akustische Flügel sowohl als ostinate Grundlage als auch bei der Auflösung in flirrende Klangkaskaden die tragende Rolle übernahm. Stücke wie dieses profitierten von Ravitz' flink-filigraner Schlagzeugbegleitung und Landfermanns hoher Flexibilität am edelmatt tönendem Fünfsaiter.
Der Frage nach der Bedeutung des Jazz heute möchte Weber sich mit seiner Adaption von popmusikalischem Material wie etwa "Clocks", dem Gehörgangsklebstoff Marke "Coldplay" stellen. Die vermeintlich überkommene Musizierweise von Minsarah hat der Pianist also gekoppelt mit dem Repertoire seines aktuellen Quartetts "Biosphere", bewegt sich janusköpfig und zweimanualig auf E- und akustischem Piano zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Kinderzimmer und Midlife-Crisis, wie seine Entschleunigungsorgien "Getragen" und "Move Like Jagger" (Maroon5) andeuten. Die eine verstrickt sich in endlosen Piazzolla-esken Linien auf der Melodika, die andere ist eine interessante Transformation eines Stücks eher produzierter als gelebter Musik, bimmelnd und vor sich hin schwebend wie der Grieß in der Schneekugel.
Die Zeitwahrnehmung ist hier auf wundersame Weise ausgesetzt: man fühlte sich überrumpelt, als Weber jeweils nach nur drei Stücken die einem gar nicht so lang vorkamen, das letzte Stück des Sets ankündigte.