Zauberfee Meret Becker
Liebeskranke Melancholie im ¾-Takt
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Meret Becker kommt mit einem weißen Kleid auf die Bühne gerauscht und beginnt in der Bochumer Christuskirche einen denkwürdigen Abend mit einem von Buddy Sacher minimalistisch begleiteten All my mistakes – eine mehr stimmlich-lautlich getupfte Version des Songs von dem dänischen Singer/Songwriter Teitur. Die ins Falsett gehende und fast jodelnde brüchige Stimme der Allround-Künstlerin führt in den melancholischen Grundtenor des Abends: Es geht um traurige Liebeslieder („Hat Ihnen das niemand vor dem Kartenverkauf gesagt?“) – in englischer und deutscher Sprache, die meisten aus der Feder der Berlinerin, die – wie sie in ihrem kieksend-albernen Warming-Up mit dem Publikum erklärt – eigentlich aus Bremen stammt. Es folgt in der Tat ein Reigen von dunklen Liedern, im Modus von Countrymusik (z.B. Donkey Song, For you from you) oder von Blues (I had a Dream) – bis auf den Opener alle ihrer letzten CD Deins & Done entnommen. Ihren Stil nennt Meret Becker „musique en miniature“. Es ist in der Tat „kleine Musik“, in den musikalischen Mitteln schlicht minimalistisch, in manchen nur schlicht, meistens in Begleitung von Buddy Sacher an der Dobro-Gitarre, zum Teil von dem Background-Duo von Christiane Hommelsheim und David Gaffney und Uwe Breunig an den Drums.
Die Wirkung dieser Songs entfaltet sich durch die Präsentation, Meret Becker ist deutlich erkennbar im Variété und Revue-Theater zu Hause, alles ist bei ihr perfekt abgestimmte Performance: Die Kleidung (Western-Stiefel, weißes Brautkleid), selbst ihr E-Piano ist in Spitze eingekleidet, ihre Spielzeug-Instrumente, die Requisiten, v.a. ihre wandlungsfähige Stimme vom kräftigen Gegröle bis zum fragilen, fast kindlichen Gewimmer – alles dient der punktgenauen Interpretation der dunkel grundierten Songs wie z.B. Slumberland („Schlaflied für ein fröhliches Kind einer depressiven Mutter“) oder Mein Brauttanz mit seinem tiefschwarzen Text oder der Beatles-Nummer For no one mit Spieluhr-Untermalung. Sie begleitet sich mit einem Arsenal an Instrumenten: Piano, Gitarre (obwohl sie sie nicht spielen könne, es bleibt auch bei einfachen Akkorden), Glockenspiel, Lochstreifen-Spieluhr, Melodica, Tröte... V.a. ihre singende Säge mit dem klagenden vibrierenden Ton setzt sie als betörende Parallelstimme ein, was den zauberhaften Charakter der Songs unterstreicht.
Die Stücke – oft im ¾ Takt - sind verbunden durch ein albern-berlinerndes Parlando mit Histörchen, Anekdoten, Kalauern, Witzen. Die Pointen sind nicht taufrisch und im Internet von anderen Konzerten fast wörtlich nachzuvollziehen, aber Meret Becker in ihrer sympathisch-authentischen Art umgeht deren mögliche Wirkung als abgegriffene Klischees, sie kommt immer spontan und im positiven Sinne publikumsnah rüber. Besonders emotional wird es immer dann, wenn sie an ihre Mutter oder ihren Vater, Otto Sander, erinnert. Letzterem widmet sie das traurig-schöne Schlaflied von Tom Waits, Lullaby, und freut sich darüber, dass die Bochumer einen Platz nach ihm benannt haben. Ein gewisser zirzensische Zauber kommt bei dem Zigarettentrick eines früheren Freundes im Zusammenhang mit dem Song Zirkus („Damit hat er mich jekriegt“) auf, die verfremdete Stimme passt wunderbar zu dieser dichten Atmosphäre.
Den Schluss bildet Trinklied, ein dem Titel entsprechendes fast ordinär gegrölter und von Buddy Sacher als Flaschenbläser begleiteter Song als Hommage an ihren Bruder Ben und Harald Juhnke („Wir sind an der Theke die tollsten Gesellen. Die Fahne flattert uns aus dem Gesicht.“). Na ja, ob das Auf-Ex-Trinken einer Bierflasche zu diesem Song („Das ist in meiner Familie eine Frage der Ehre“) den Schlusspunkt eines ansonsten eher subtil performten Abends bilden muss, erschließt sich nicht so ganz.