Hier kocht der Chef selber
Jan Lundgren gehörte die Bühne beim YSTAD SWEDEN JAZZ FESTIVAL
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Jan Lundgren ist seit 2010 der künstlerische Leiter des Ystad Jazzfestivals. Er lässt es sich nehmen, fast alle Konzerte selbst anzusagen. Nebenher ist er noch der künstlerische Leiter des Kopenhagener Jazzclubs Montmatre. Aber er ist vor allem Pianist. Lundgren gibt weiterhin viele Konzerte in In- und Ausland. So ist er ein paar Wochen vor dem Festival erst von einer langen Tournee, deren Endpunkt Sardinien war, zurückgekommen. In Ystad hat er einige Tage vor dem Festival noch gespielt. Aber auch auf dem Ystad Festival spielt er zwei zentrale Konzerte im alten Theater in Ystad.
MARE NOSTRUM IV
Das Mare Nostrum-Konzert mit Jan Lundgren (Piano), Richard Galliano (Akkordeon/Trompete) und Paolo Fresu (Trompete/Flügelhorn) knüpft an ein 20 Jahre zurückliegendes Trio-Konzept an, das in Schweden begann. Die drei führenden europäischen Jazzmusiker verbinden ihre jeweiligen Instrumente – Piano, Akkordeon und Trompete/Flügelhorn – zu einer facettenreichen Klangwelt. Das Konzept war von Anfang an erfolgreich und setzt darauf, Jazz mit klassischer Musik sowie traditioneller Volksmusik aus Schweden, Sardinien und Frankreich zu verschmelzen.
20 Jahre später ist Mare Nostrum weiterhin präsent und erfolgreich. Es ist das vierte Album der Zusammenarbeit, Mare Nostrum IV, mit 12 Stücken, die von den drei Musikern geschrieben oder arrangiert wurden. Im Juli präsentierten sie die neue Ausgabe im ausverkauften Theater des Ystad Sweden Jazzfestival. Die Eröffnung des Konzerts erfolgte mit Mare Nostrum, einem Titel, der laut Ansage von Jan Lundgren, vom Pianisten der Band stammt und symbolisch dafür steht, wie alles vor zwei Jahrzehnten begann.
JAZZ, KLASSIK UND FOLKLORE
Das Repertoire umfasst Bearbeitungen schwedischer, französischer und sardischer Volkslieder bzw. Chansons, die ins Jazz-Ideom übertragen wurden. Ein Beispiel ist La Vie en Rose von Edith Piaf, dessen französischer Chanson neu interpretiert wurde. Außerdem steuerte Jan Lundgren das schwedische Volkslied Daniels Farfars Lat bei. Gesellschaftspolitische Aspekte, wie das Thema Frauenrechte, fanden sich ebenso im Programm wie persönliche Stücke, darunter Giselle, gewidmet Richard Gallianos Frau.
Das Publikum zeigte sich begeistert: immer wieder anhaltender Applaus und zum Abschluss Standing Ovations. Die Musiker überzeugten mit Eleganz, feinem Arrangement und einer klanglich dichten, poetischen Atmosphäre, die die Verbindung von Jazz, Klassik und Volksmusik deutlich hörbar machte.
TRIBUTE TO BILL EVANS
Das zweite Konzert im Trioformat mit dem schwedischen Pianisten Jan Lundgren fand erneut im Ystad Theater statt. An Lundgrens Seite standen der schwedische Bassist Anders Jormin und der deutsche Schlagzeuger Wolfgang Haffner. Es handelte sich um ein Tributkonzert zu Ehren des legendären Pianisten Bill Evans, der das Klaviertrio-Format maßgeblich geprägt hat. In Evans’ Trio standen drei gleichberechtigte Musiker im musikalischen Austausch, die ihre Ideen einbringen und nicht nur als Begleiter fungieren. Evans’ Trio war in seinen ersten Jahren mit Scott LaFaro am Bass und Paul Motian am Schlagzeug besetzt. Nach dem Tod von Scott LaFaro variierte das Trio später in der Besetzung, doch die Grundidee blieb: Drei Musiker begegnen sich auf Augenhöhe und tragen ihre individuellen musikalischen Ideen in den gemeinsamen Dialog ein.
EVERYBODY DIGS BILL EVANS
Der Abend begann mit einer ruhigen Atmosphäre, in der Lundgren sein feines Gespür für Klangfarben und artikulierte Phrasierungen zeigte. Das Programm eröffnete mit Turn out the Stars, es folgte My Foolish Heart, ein Standard, deb Evans 1961 mit LaFaro und Motian aufnahm. Die Interpretation war behutsam, getragen von hypersensibler Dynamik und klaren Melodielinien; Lundgrens Piano suchte die delikaten Nuancen im Detail, während Jormin einen warmen, resonanten Boden legte und Haffner mit kontrollierter, präziser Perkussion die Struktur des Stücks stützte, ohne sich in Überhöhung zu verlieren.
Weiter ging es mit dem Monk Klassiker Minority, einem Highlight aus Evans’ Debütalbum Everybody Digs Bill Evans (1958). Das Stück wurde in einer lohnenden Tempo-Behandlung präsentiert, die den Fokus auf rhythmische Feinheiten und kontrapunktische Linien legte. Jormin bot eine solide Basisschicht mit poetischer Tiefe, Haffner fügte subtile polyrhythmische Akzente hinzu, während Lundgren mit expressionistischen Bögen und durchsichtigen Arpeggien die Melodik trug.
SO SPIELEN WIE BILL EVANS
Jan Lundgren erinnerte in der Moderation daran, wie stark ihn Bill Evans als jungen Pianist beeinflusst habe, sodass er lange Zeit versuchte, Evans‘ Klang zu imitieren. Es dauerte eine Zeit bis er seine eigene Stimme gefunden hatte. Im Verlauf des Abends konnte man jedoch Lundgren eigene Stimme hören: Sein Ton war transparent, die Phrasierung oft zurückgenommen, doch wenn er die Harmonik öffnete, brachte er farbige, fast impressionistische Akzente ins Spiel.
Natürlich standen auch die großen Hits auf dem Programm, darunter der Titeltrack aus dem Film MASH, Suicide Is Painless, sowie Waltz for Debby. Die Interpretation von Suicide Is Painless zeigte eine reduzierte, beinahe meditative Version, die den melancholischen Kern der Melodie betonte. Waltz for Debby wurde in eine intime Ballade verwandelt, bei der Lundgren eine lyrische Melodie in den Vordergrund rückte, unterstützt von Jormins samtigem Bass und Haffners feinen Tempowechseln. Dieses Stück existiert auch in einer schwedischen Vokalversion von Monica Zetterlund, die sie 1964 mit Bill Evans in Stockholm unter dem Titel Monika Vals aufgenommen hat.
STANDING OVATION IM AUSVERKAUFTEN THEATER YSTAD
Das Trio verstand es, den Geist Bill Evans lebendig zu halten: Die Musiker spielten mit gleichermaßen intensiver Hingabe und hörten aufmerksam aufeinander, nutzten Stille als Gestaltungsinstrument und ließen Improvisationen in organischer Weise ineinander übergehen. Die Dialoge am Klavier, Bass und Schlagzeug wirkten geschlossen, doch jedes Instrument behielt eine charakteristische Stimme bei, wodurch die improvisatorische Freiheit des Trios sichtbar wurde.
Das Publikum im ausverkauften Theater zeigte sich erneut begeistert: lange Beifallsbekundungen nach einzelnen Soli, anerkennende Rufe und schließlich Standing Ovations am Ende des Konzerts. Es war spürbar, wie der Abend sowohl den historischen Linien von Bill Evans als auch der lebendigen Gegenwart des Lundgren-Trios gerecht wurde. Ein gelungenes, intensives Tribute-Konzert, das sowohl Evans’ Vermächtnis respektierte als auch neue klangliche Horizonte eröffnete.