Yankee go home
Der Abend mit John Scofield war ein absolutes Highlight
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla
John Scofield gab sich im Dortmunder domicil die Ehre und wurde von allen begeistert gefeiert. Auch unser Autor Ingo Marmulla ließ sich mitreißen – und berichtet detailliert...
Einen Weltklasse-Gitarristen hautnah zu erleben, diese Möglichkeit bietet das Domicil in Dortmund, wenn man früh genug vor Ort ist. Unter Umständen schafft man es in die erste Reihe und hat so die Möglichkeit, beseelte Musiker gewissermaßen hautnah zu erleben. Damit meine ich nicht nur das Spiel auf dem Instrument, sondern auch das gesamte musikalische Wirken, bis hin zur Mimik und den Feinheiten der Motorik, Spannung und Entspannung zu Beginn des Konzertes und den Flow der gesamten Performance.
So fängt dieser Abend auch ganz locker mit einer rhythmisch, funkig-groovigen Improvisation an, die Band spielt sich gewissermaßen ein. Danach informiert Scofield sein Publikum über die Programmauswahl. „Today I’m going to play some songs of the 20th century. And when I look to my audience, I think, many of you will know the songs …“ - So in etwa mit einem Augenzwinkern die Worte des Protagonisten mit einer Anspielung auf sein eigenes Alter und das vieler Anwesender im Konzertsaal… Wie gesagt, so getan. Es folgt der Dylan-Song „Hey Mister Tambourine Man“ - natürlich klanglich an den Byrds orientiert.
Ich muss zugeben, spätestens ab diesem Zeitpunkt bin ich den Gitarrenklängen Scofields erlegen, und gebe mich emotional dem Konzertergeschehen hin. Natürlich kennt man die Stücke, ist man doch selbst auch geprägt von der Musik der frühen Jugendzeit, als es noch nicht von Bedeutung war, ob man einen Standard des American Songbook in allen Tonarten spielen kann …
Scofield in der Ankündigung: "Mein neuestes Projekt wird liebevoll "Yankee Go Home" genannt - was für mich eine Anspielung darauf ist, dass wir "Yankees" die Musik unseres Heimatlandes aufgreifen. Diese Band spielt Roots-Rock-Jazz, was eine Möglichkeit ist, sie zu definieren, aber wenn ich ehrlich bin, hasse ich es, das zu tun! Das Konzept besteht darin, Americana/Rock-Hits und verjazzte Folk-Songs zu covern … Ich besinne mich auf meine Rock n Roll-Wurzeln aus der Teenagerzeit - natürlich gefärbt durch meine 50-jährige Jazz-Praxis …
Scofield wirkt ungezwungen, konzentriert aber trotzdem locker und gelassen. Er nimmt sein Publikum mit auf eine Reise zu seinen musikalischen Wurzeln. Und das Publikum folgt ihm mit jeder Note. Das sympathische Erscheinen dieses Künstlers wird besonders durch seine eher zurückhaltende Art auf der Bühne verstärkt. Und gerade das wirkt sich auf das Verhältnis zu seinen Zuhörern, besser gesagt, zu seinen Zuschauern positiv aus. Scofield hat natürlich in seinem musikalischen Wirken schon sämtliche nur erdenkliche Höhen erklommen und kann nun „easy“ mit einer ziemlichen inneren Ruhe dem Fluss des Konzertes entgegen sehen.
Eine perfekt eingespielte Band
Zudem ist die Band perfekt eingespielt. Wenn man sich den Tourneeplan anschaut, der auf der Homepage Scofields nach zu lesen ist, dann weiß man auch warum. Nach dem heutigen Konzert geht es direkt weiter in die Tschechische Republik, und zu den nächsten Dates. Die drei Mitmusiker unterstützen Scofield in seinem Wirken optimal. Natürlich bleibt er dabei die musikalische Hauptperson.
Der Pianist Jon Cowherd, in der Band auch kompositorisch aktiv, hält sich eher zurück, improvisiert natürlich überragend, aber überspielt mit seinen zweifellos vorhandenen virtuosen Fähigkeiten zu keinem Zeitpunkt das Konzertgeschehen und die Richtung des Konzertabends. Der Kontrabass, überzeugend gespielt von Vincente Archer, erfüllt seine Aufgabe als harmonische Basis vollends, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Jeder Grundton verstärkt an der richtigen Stelle die Aussage der Gitarre. Einzig das Schlagzeug agiert im Zusammenspiel der Band etwas weiter im Vordergrund. Josh Dion hält nicht nur das Geschehen formal zusammen, sondern unterstützt und inspiriert durch sein engagiertes kraftvolles Schlagzeugspiel die Improvisationen Scofields. Er agiert nicht nur mit den üblich zur Verfügung stehenden technischen Mitteln, sondern greift, wenn klanglich erforderlich, auch schon mal zum Tamburin. Und - was das Publikum besonders in Begeisterung versetzt: Er hat eine hervorragende Gesangstechnik und ergänzt gegen Ende des Konzertes zum Beispiel die Scofield-Version des Grateful Dead Klassikers „Black Muddy River“ durch seine Gesangsinterpretation.
Ein Magier auf dem Instrument
Im weiteren Verlauf des Abends interpretiert Scofield unter anderem: "The Creator has a Masterplan" (Pharoa Sanders - Leon Thomas), "I can't go for that" (Daryl Hall & John Oates), "Eyes of the World" (Grateful Dead), "Only Love Can Break Your Heart" (Neil Young), und "Turn on Your love Light" (Bobby Blue Bland).
Wenn man den Begriff des „Coverns“ verwenden würde, läge man an diesem Abend allerding nur „halbrichtig“. Natürlich ist es auch ein gewolltes Aufgreifen von „Oldies“ - doch Scofield schafft damit etwas Neues. Das Thema ist in der Regel gut erkennbar. Die Grundakkorde sind häufig simple Dur- und Mollakkorde, allerdings schon additiv mit Leersaitenklängen versehen und in der Phrasierung ganz eigen gespielt. Aber spätestens mit der solistischen Ausarbeitung der Songs wird der jazzmäßige Scofield hörbar. Er beginnt häufig mit wenigen Tönen, baut seine Melodien langsam auf und erzielt mit seine unnachahmlichen Melodiekaskaden effektvolle Steigerungen. Die Improvisationen werden im weiteren Verlauf freier, um nicht zu sagen: „free“. Die Begleitung bleibt dabei stets groovy, was die Akzeptenz des sehr freien Improvisierens Scofield im Publikum verankert. Trotz der Offenheit der Musik ist man unweigerlich vom Rhythmus mitgerissen und hat Spaß an den zahlreichen experimentellen Klangmomenten… Und Scofield ist ein Magier auf seinem Instrument. Oft fragt man sich, wie geht es nun weiter… und Scofield findet einen Weg zurück zur Basis des Songs.
Jede Note ist hier unterschiedlich gefärbt
Es ist der besondere Klang seines Spiels auf der Gitarre. Mit eigentlich wenig technischen Mitteln schafft er einen Sound, der sowohl klar als auch leicht bluesig angezerrt ist. Dabei ist jede einzelne Note durchaus unterschiedlich gefärbt. Er spielt sowohl mit dem Plektrum, als auch mit den Fingern. Er spielt „staccato“-Fetzen im Übergang zu Legatolinien. Er spielt mit hartem Stegklang, als auch im weichem Klangregister. Da ist das „Bending“, das Ziehen der Saiten, das Scofield auf seine Weise einsetzt. Und natürlich die „crescendi“ und „decrscendi“, die er ohne Schwellpedal so fantastisch erzeugt, selbst noch am Ende eines „Bendings“. Klar, da kommt der Blues und die Liebe zu R&B durch. Es ist aber auch eine Grundlage seines Spiels und des heutigen Programms. Man hat den Eindruck, Scofield sucht für jede Note einen besonderen Sound. Und es ist auch das immer Neue, nicht standardmäßig klischierte Spiel, das er sucht. Er scheint immer nach einer Alternative zu suchen. Vielleicht ist dies der Einfluss von Miles Davis, der seine Musiker immer aufgeforderte, das „Unmögliche“ hörbar zu machen.
"Es war göttlich!"
In diesem Sinne kann ich mich nur dem faszinierten Publikum und den vielen anwesenden Gitarristen anschließen, für die dieser Abend ein absolutes Highlight war. Um nur eine Stimme zu zitieren (Ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel … Bruno Müller saß eine Reihe hinter mir im Publikum): Es war göttlich - unbeschreiblich tolles Konzert - werde von diesem Abend noch lange zehren.