Wohldosierte Verschrobenheit
John Cale bei der RuhrTriennale
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese
Im nächsten Jahr wird er 70. Dann soll ein neues Album von ihm erscheinen. Eine EP mit fünf Titeln kam gestern heraus. Fast alle Stücke davon spielt John Cale auch in der Essener Lichtburg. Später, im zweiten Teil. Denn im Mittelpunkt dieses RuhrTriennale-Abends unter dem Titel „When Past & Future Collides“ steht sein als Meisterwerk geltendes Album „Paris 1919“ aus dem Jahre 1973.
„Paris 1919“ war eine radikale Abkehr war von Cales Minimal Music-Experimenten mit Terry Riley. Es war die zweite Soloplatte des Velvet Underground-Mitbegründers, auf der er singt. Ein Album, schon damals mit Orchester eingespielt, das als romantischer Liedzyklus bestens funktioniert. Damals wie heute.
Die von Harry Curtis vorzüglich geleiteten Bochumer Symphoniker bringen die sehnsüchtigen, schwelgerischen Melodien der neun Stücke ohne zuviel Patina zum Schweben. Man fühlt sich in einer alten Welt, schaut auch mal kurz bei einem Weihnachtsfest in Cales Heimat Wales vorbei. Cales Band fügt die rockigen Momente hinzu, der Meister selbst am Keyboard singt nicht wirklich gut, aber seine Stimme strahlt etwas aus.
Die Fans sind schon zur Pause begeistert. Und im zweiten, wesentlich bissigeren Teil, wird in dem großen Filmtempel noch mächtig Rock´n´Roll-Feeling verströmt. Mit dem enorm kraftvollen, neuen Stück „Catrastofuk“, das Cale wie noch zwei weitere ohne das Orchester um sich herum interpretiert. Mit dem hochdramatischen, herrlich langsam an Intensität gewinnenden, ebenfalls neuen Stück „Perfection“ und mit alten Hits wie „Riverband“, „Hedda Gabler“ oder den textlich so mehrdeutigen Song über den Untergang des britischen Kolonialismus, „Captain Hook“.
Hier blüht John Cale auf. Mit seiner wohldosierten Verschrobenheit, die er mit knackigen Gitarrenriffs und eckigen Rhythmen so genial zu paaren versteht. Richtig hart rockt der Brite mit „Jumbo“ in der Zugabe, nur mit Band und den Bläsern der Symphoniker. Der bestens besuchte Kinosaal tobt, John Cale winkt zufrieden ins Publikum. Ein hörenswerter Abend mit einer Ikone der Popmusik.