Wohin gehen?
34. Kopenhagen Jazz Festival 2012
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Kristoffer Juel Poulsen
Beim „Kopenhagen Jazz Festival“ist Kondition gefragt. In mehrerer Hinsicht. Morgens um zehn beginnen die Konzerte, laufen nonstop den ganzen Tag und spät nachts ist erst Schluss. Und dann sollte man gut zu Fuß und zusätzlich mit Tickets für die Metro ausgerüstet sein, denn die über 100 Spielorte sind über die ganze, nicht gerade kleine Hauptstadt Dänemarks verteilt. Das Programmheft mit den entsprechenden Angaben, was sich wo befindet, und ein Stadtplan, sofern man kein Smartphone besitzt, um die festivaleigene App herunterzuladen, sind Pflicht. So läuft man dann wie ein Tourist durch die Straßen und schaut und sucht, bis man dann angekommen ist und unter Umständen gar keinen Einlass mehr findet. Nun, man hätte sich denken können, dass der sogar in Kopenhagen geborene, dänische Saxofonist Jesper Thilo, der mit Größen wie Dizzy Gillespie, Ben Webster oder Coleman Hawkins zusammengearbeitet hat, in seiner Heimat angesagt ist. Aber dass um halb drei nachmittags sein Gastspiel mit seinem Quartett im gar nicht mal so kleinen JazzCup, das zugleich Jazzklub, Café und CD-Shop ist, schon weit vor Konzertbeginn derart voll ist, dass keiner mehr rein darf, das überraschte den Festival-Neuling dann doch ein wenig. Aber es gibt ja genügend Alternativen bei diesem Festival.Und zum 16 Uhr-Auftritt von Kurt Elling in der Christianskirche in einem ganz anderen Stadtteil ist es ohnehin ein weiter Weg, der Zeit in Anspruch nimmt.
Im Garten neben der Kirche singt er dann, der Kurt Elling. Begleitet nicht von seiner regulären Band, sondern nur von Gitarrist Charlie Hunter und Drummer Derrek Phillips. Und angereist mit einem anderen wie dem üblichen Programm. Alte Pophits, leicht jazzinfiziert, sind Trumpf, Songs wie „Fly Like An Eagle“ von der Steve Miller Band oder „I Want You To Want Me“ von Cheap Trick. Kurt Elling genießt diese Kollaboration sichtlich. Derrek Phillips und Charlie Hunter, der mit seiner speziellen achtsaitigen Gitarre Lead- und Rhythmus sowie Bass gleichzeitig spielt und so das Trio wie eine größere Band erklingen lässt, sorgen für die nötigen Grooves. Und Kurt Elling singt lustvoll, experimentiert dabei allerdings vielleicht manchmal ein wenig zu viel mit seinem Vocoder herum. Zu viel – das traf auch auf Concha Buika zu. Zu viel Getue und Gelache über die eigene Witzigkeit auf der Bühne, zu viel Gequatsche im Verlaufe ihres Konzertes auf einer wunderschön am Wasser gelegenen Open Air-Bühne. Dabei kokettierte die Afro-Spanierin am Anfang ihres Auftritts noch damit, dass das Reden on stage gar nicht so ihr Ding sei. Nun, ihre Performance als Sängerin war klasse. Diese raue Stimme, diese Energie, diese Ekstase, aber auch das Gefühl für das Betonen von bestimmten Momenten – immer perfekt unterstützt von ihrem Trio mit Klavier, E-Bass und Cajón. Selbst Jaques Brels „Ne me quitte pas“ machte sie so zu ihrem Song.
Über 1.000 Konzerte gehen in den zehn Festivaltagen über die unterschiedlichsten großen und ganz kleinen Bühnen – auch mit Stars wie Wayne Shorter und Anoushka Shankar oder Nachwuchshoffnungen wie Ambrose Akinmusire. Stilistisch ist alles dabei. Das wenigste ist vom Festival selbst organisiert. Viele Macher, Clubs oder Labelbetreiber sind in das Festival integriert und selbst für das eigene Programm verantwortlich. „Jeder ist bei uns willkommen“, betont Christian Dalgas, Projektmanager beim seit 1979 existierenden Festival. Auch die Impro-Szene fühlte sich angesprochen. Im Beboerhus im Stadtteil Christianshavn hatte sie einen gemütlichen Spielort. Das Trio Angel mit dem Saxofonisten Liudas Mockunas als Gast spielte dort eine zu 100 Prozent improvisierte Musik, was sich feststellen ließ. Denn längst nicht immer zündeten die kollektiven Improvisationsstöße des dänisch-norwegischen Dreiers. Was am wenigsten an dem litauischen Gast lag, der sich auf Bariton, Sopran und Tenor ideenvoll in das Soundchaos einzubringen versuchte.
Der Mozambiquaner Deodato Siquir, jahrelang in Kopenhagen sesshaft und inzwischen in Stockholm lebend, spielte im „Huset“, einem Kulturhaus mit mehreren Bühnen auf mehreren Etagen, in größerer Besetzung seine fluffig leichte, jazzig und afrikanisch angehauchte Weltmusik. Für die Grooves sorgte der Schlagzeuger und Sänger selbst, der mit seiner warmen und wohligen Singstimme aber am meisten zu verwöhnen wusste.
Das große „Problem“ beim „Kopenhagen Jazz Festival“: Wohin gehen? Die Auswahl erschlägt. Aber manchmal gerät man bei der Suche nach einem Spielort plötzlich an eine Kneipe, aus der Jazz herausschallt. Drinnen ist es warm und voll, letzteres trifft auf alle Spielstätten zu, in die der Abgesandte von ruhrjazz.net seine Nase hineinsteckte. Eine Stadt genießt zehn Tage lang den totalen Jazz!