Wim Vandekeybus mit Ultima Vez
Traces – Mensch und Natur im Kampf
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Danny Willems
Der belgische Choreograph Wim Vandekeybus mit seiner Kompanie Ultima Vez spürt in seinem Tanzstück TRACES der Beziehung von Mensch und Natur nach. Sein Stück sollte letztes Jahr schon in Köln getanzt werden, aber es wurde ein Corona Opfer. Die Premiere fand im Dezember 2019 in Brügge statt und bis Februar konnte Ultima Vez noch auf Tour gehen, dann kam der Lockdown.
Nun ist TRACES auch mit Verspätung in Köln gezeigt worden. Ein kraftvoll pulsierendes Stück in der wilden instinktiven Tanzsprache von Wim Vandekeybus, der nach Rumänien gefahren ist und sich mit der dortigen Kultur und Natur vertraut zu machen. Die Spuren (traces) dieser Erfahrung hat er in Tanz umgesetzt.
Das dunkel gehaltene Bühnenbild zeigt im Hintergrund einen rumänischen Wald vor dem eine breite Straße verläuft, die die Natur zurückdrängt. Der Mensch nimmt sich überall Raum auf Kosten der Natur. Vandekeybus spürt in vielen wechselnden Szenen der Beziehung des Menschen zur Natur nach, aber auch der Beziehungen, der Menschen untereinander.
Zum Auftakt irrt die Tänzerin Maureen Bator auf der Bühne umher und stößt Schreie des Erschreckens aus. Ein undefinierbares Gerät rast mit lautem Motorengedröhn über die Straße und hinterlässt die Tänzerin bewusstlos auf dem Boden liegend. Ein Mann räumt sie beiseite und packt sie in einen Plastiksack. Dann kommt ein Bär aus dem Wald, findet die Frau, entpackt sie und rollt sie über die Bühne. Die Tänzerin Maria Kolegova erscheint als Naturfreundin und “Bärenflüsterin“, der wilde Bär folgt ihr ohne Widerstand zurück in den Wald. Diese theatralische Eingangsszene enthält schon viele Motive des folgenden Stückes.
Maria Kolegova tanzt immer wieder als Gegenpart zu den Menschen, die die Natur ausbeuten und die Bären, exemplarisch für die Tierwelt, ausbeuten. Die Natur, in Gestalt der Bären, versucht die Räume, die ihr genommen worden, zurückzuerobern. Die Bären tauchen immer wieder im Stück auf und am Ende zerfleischen sie auch den Anführer der Natur zerstörenden Menschen, getanzt von Borna Babic. Dabei wird auch die tierquälerische Tradition des Abrichtens von Tanzbären gezeigt, wenn einer der Bären zum Geigenspiel tanzt.
Die Naturzerstörung wendet sich am Ende gegen den Menschen. Das Stück endet damit, dass der rumänische Urwald den Kettensägen zum Opfer fällt und verschwindet. Der letzte Baum erschlägt die Tänzerin Maria Kolegova.
Babic, in seiner Rolle als Anführer, tritt seinen Mitmenschen selbstherrlich und autoritär gegenüber auf, schreit sie an, schlägt und schubst sie oder reklamiert bestimmte Frauen für sich. Wim Vandekeybus zeigt einen bunten Bilderbogen an menschlichen Verhaltensweisen. Gruppendynamische Prozesse haben bei Traces eine tragende Rolle. Mit wilden kraftvollen und schnellen Tanzbewegungen zeigt Vandekeybus auf, wie sich menschliche Gruppen in unterschiedlichen Situationen verhalten, in Konkurrenz zueinander, gegenüber Unbekannten, bei Begehren, Eifersucht, Angst und Aggression. Irrationales ist dabei oft der Handlungsauslöser. Menschen schließen sich zusammen, grenzen aus, halten zusammen gegenüber Fremden oder verhalten sich unterwürfig gegenüber einem brutalen Anführer. Auch die Ausgrenzung der Roma Bevölkerung in Rumänien wird angedeutet. Viele Szenen erschließen sich nur sehr schwer oder bleiben mehrdeutig. Insgesamt fehlt es der Geschichte oft an Stringenz. Dafür gibt es keinen Mangel an wirkmächtigen Bildern die mit Wucht und Wildheit getanzt werden. Eine dieser eindrücklichen Szenen entwickelt sich als alle Täner*innen ihre weiß angemalten Arme mit gespreizten Händen nach oben halten, wie Hirschgeweihe, und leidenschaftlich und heißblütig umeinander tanzen. Hitzige archaische Bilder voll Kraft und Körperlichkeit. Die zehn Tänzer*innen der Kompanie Ultima Vez laufen wild über die Bühne, sie schreien, kämpfen, weinen und haben Sex. Sie tanzen auf höchstem Niveau und das über so einen langen Zeitraum.
TRACES sind neunzig Minuten geballte tänzerische Energie, begleitet von energetischer Musik. Die Musik ist dem Stück entsprechend expressiv und wild, von experimentellen Phasen bis zu explosiv rockigen Ausbrüchen und kommt aus dem Umkreis der New Yorker Downtown Jazz Avantgarde. Gespielt wird die Musik von Ausnahme Gitarristen Marc Ribot, der ein wichtiger Musiker der New Yorker Downtown Avantgarde ist und viel mit John Zorn zusammenarbeitet. Der Soundtrack zum Stück besteht aus Originalmusik von Marc Ribot, Trixie Whitley, Shahzad Ismaily, Ben Perowsky und Daniel Mintseris.
Die Multiinstrumentalistin Trixi Whitley hat in unterschiedlichen Kontexten mit Marc Ribot und anderen Musiker*innen der Downtown Avantgarde zusammengearbeitet. Auch Shahzad Ismaily kommt aus diesem Umfeld. Er ist pakistanischer Abstammung und setzt auch Elemente traditioneller ethnischer Musik ein. Sein Hauptinstrument ist der E-Bass. Ismaily hat für viele Film- und Theaterproduktionen komponiert. Der Jazzschlagzeuger Ben Perowski bringt seine Erfahrung im Komponieren von Theatermusik mit ein. Von Hause aus ist er früh geprägt worden, seine Mutter war Tänzerin und sein Vater Bebop Saxophonist. Auch Daniel Mintseris lebt in New York, er ist in Litauen geboren und ist seit 1993 in den USA, wo er Jazz Arrangement und Komposition studiert hat. Er ist Keyboarder und ein gefragter Sounddesigner.