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Wenn der Gleichschritt aus dem Takt gerät

Ein Theater mit Improvisation gegen den Krieg

Bochum, 30.01.2023
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Ein Artikel über ein Theaterstück in einem Jazzmedium? Auf jeden Fall! Denn dieses Stück handelt vom Krieg. Und der hat zwischen der Premiere des Stückes „Die Perser“ im Dezember und seiner zweiten Aufführung Ende Januar im Bahnhof Langendreer schon wieder an Eskalation zugelegt.

Ein weiteres Argument für die Thematisierung dieser Inszenierung des Theater Gegendruck: Eine zentrale dramaturgische Funktion kommt dem improvisierenden Multiinstrumentalisten Claudius Reimann zu. Dessen dramaturgisch unermüdliche Kriegstrommel, soll später ganz schön aus dem Takt kommen, nachdem sich die mächtigen Anführer in ihrer Eitelkeit doch ganz schön verrannt haben….

„Die Perser“ aus der Feder des griechischen Dramatikers Aischelos gilt als das älteste schriftlich festgehaltene Theaterstück. Tatsächlich ist der 2500 Jahre alte Text in seiner Gedankenschärfe den meisten aktuellen Meinungen, Parolen, Slogans und Versprechungen haushoch überlegen.

Es scheppert gewaltig auf der Hinterbühne des Ruhrfestspielhauses. In weitem Bogen, zugleich mit der Entschiedenheit eines Zeremonienmeisters schleudert Claudius Reimann ein ganzes Arsenal von Schlagzeugbecken auf den Bühnenboden. Der schneidende Krach suggeriert: Jetzt geht es ans Eingemachte! Hier kommt niemand ohne geistige Bewusstseinserweiterung wieder raus! Wenn in den folgenden 75 Minuten die Kriegsmotorik über alles Menschliche herrschen soll, braucht der Marler schon ein ganzes Drumset.

So wollte es schon das antike Drama

Eine große Besetzung unter Johannes Thorbeckes Regie geht von da ab in tiefer Konzentration auf. Es ist beeindruckend, mit welcher Versunkenheit die Darstellerinen und Darsteller in die antike Textvorlage rezitierend eintauchen. So wollte es ja schon das antike Drama zu Aischelos Zeiten. Johannes Thorbecke war früher Regieassistent von Frank-Patrick Steckel am Bochumer Schauspielhaus. Seit Jahren schon weckt er bei den meist jungen Schauspielerinnen und Schauspielern die Leidenschaft für engagiertes, literarisches Theater - bevorzugt auch in der gesellschaftskritischen Tradition von Brecht und seinen Nachfolgern oder eben wenn darum geht, die Aktualität klassischer antiker Dramen neu heraus zu arbeiten.

Vor einigen Jahren liefen sich Johannes Thorbecke und Claudius Reimann über den Weg und verstanden sich bestens angesichts so viel geteilter Ideale von kreativer Freiheitsliebe. Seitdem sind er (ebenso wie seine Partnerin, die Klarinettistin Katharina Bohlen) aus den meisten Gegendruck-Produktionen nicht mehr wegzudenken, tun sich doch für die freie Improvisation mit musikalischen Ideen und Klängen ganz neue Welten für spannende und plausible Kontextualisierungen auf.

Im Krieg gibt es keine Gewinner

Die von Aischelos erzählte Niederlage der persischen Armee in der Schlacht bei Salamis wird in jedem Lateinbuch beschrieben. Ein getriebener Despot überfällt einen Kontinent und erfährt erfolgreiche Gegenwehr. Die Aufführungen in Recklinghausen und Bochum führten aber die ganzen tieferen Wahrheiten, die ungebrochen auch heute gelten, vor Augen. Im Krieg gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer -ganz gleich, welche Seite schließlich den „Sieg“ feiert. Was bleibt, ist unsägliches Leid zahlloser Menschen, die nichts mit den Eitelkeiten der Machteliten zu tun haben. Der Theater-Chor in seinem anklagenden Gestus, aber auch jene Menschen, die dem eitlen Perserführer Xerxes nahe stehen (etwa Alina Stöteknuel als Mutter oder Yusuf Demircan als Geist des Dareios, welcher den Eroberungsfeldzug des Xerxes verurteilt) nennen die Menschenschicksale mit Namen und geben ihnen Gesichter.

Der Gleichschritt kommt durcheinander

Zerlumpt und zerschunden schleppt sich am Ende der geschlagene Despot selber auf die Bühne und gesteht in fahrigem Vortrag sein Versagen ein. Damit hat er den meisten real existierenden Kriegstreibern sogar noch etwas an menschlicher „Restgröße“ voraus. Wo es keinen Gleichschritt mehr gibt, muss schließlich auch der Trommelwirbel von Claudius Reimann durcheinander kommen…

Die motivierte Schauspieltruppe und ihre Regisseur sowie dieser kreative Bühnenmusiker wurden bei den beiden Vorstellungen im Recklinghäuser Ruhrfestspielhaus und im Bochumer Bahnhof Langendreer enthusiastisch gefeiert. (Die Fotos zum Beitrag stammen von der Premiere, in Bochum war eine etwas andere Besetzung an den Start gegangen)

AUSBLICK

Wer jetzt (hoffentlich!) neugierig geworden ist: Am 24. Februar gibt es in Waltrop die Wiederaufnahme einer anderen ambitionierten und schauspielerisch bestechenden Produktion, ebenfalls unter Beteiligung des Bühnenmusikers Claudius Reimann . MARAT/SADE von Peter Weiss führt mitte hinein ins psychologische Machtpoker im Umfeld der Französischen Revolutiom. Das Stück knüpft an die Traditionen des Volkstheaters an und führt mitten hinein in die Diskussion über die Rolle von Kunst in Krisenzeiten: Die psychisch Kranken des Hospizes in Charenton bringen die Französische Revolution auf die Bühne. Beim Duell der Protagonisten de Sade und Marat wird das Verhalten des Zuschauers von Heute auf den Prüfstand gestellt. Individualismus und Lebensgenuss stehen gegen die Notwendigkeit, eine andere Welt zu erstreiten.

Location:

Jugendzentrum Yahoo, Hochstraße 50, 45731 Waltrop

INFO und TICKETS


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