We are explorers ...
"New Language" im domicil
TEXT: Walter Jonat | FOTO: Walter Jonat
Ein Statement. So ist der Abend angekündigt. Uns erwartet kein Jazzkonzert der Standardkategorie, sondern etwas Außergewöhnliches. Die Instrumentalisten kennt man: Jean-Paul Bourelly (g, voc, electronics), Joseph Bowie (tb, perc, electronics, voc), Jamalaadeen Tacuma (e-bass). Der angekündigte DJ ist (zu mindest mir) nicht bekannt: Gea Russel (DJ, electronics, visuals). Auf YouTube kann man sich in einem Werbe-Interview weitere Informationen über die Performance holen. Bourelly: Wir wollen in unserer Musik mit neuesten technischen Mitteln unsere musikalische Tradition und unsere Geschichte miteinander verknüpfen und so zu neuen künstlerischen Aussagen kommen. Bowie: We are explorers ... auf der Suche nach musikalischem Neuland.
... Das Event beginnt. Russel geht an sein Dj- und Elektronikpult. Wir werden konfrontiert mit einem Klangteppich aus Geräuschen und gesampelten Drumbeats aus dem Bereich HipHop. Teilweise gewinnt die Geräuschebene einen Charakter von Urklängen aus den Tiefen der Erde... Auch eine gesampelte Saxophonmelodie ist zu vernehmen, ganz langsam und klagend. Klingt wie „Rivers of Babylon", so mein Sitznachbar. Passend zu dieser Melodie sehen wir im Hintergrund große Fotos mit der Thematik der Geschichte der Afro-Amerikaner. Nach diesem effektvollen Intro betreten die Instrumentalisten die Bühne. Sehr bunt ihre Kleidung, hier gibt es nicht nur etwas zu hören, sondern auch etwas zu sehen. Ein multimediales Ereignis in jeder Hinsicht.
Joseph Bowie (Defunkt), Bruder des verstorbenen Lester Bowie, an der Posaune, steigt mit ersten improvisierten Linien ein. Jamalaadeen Tacuma ergänzt den DrumBeat mit seinen ostinaten Bassläufen. Auch er ein gefeierter Star seines Instrumentes, spielte er doch schon in den E-Bands von Ornette Coleman. Schließlich Jean-Paul Bourelly an der Gitarre und diversen elektronischen Klangerzeugern. Das gesamte Instrumentarium ist elektrisch verstärkt. Die Posaune ist verfremdet durch einen Harmonizer, zum gespielten Ton erklingt gleichzeitig und wahlweise ein zusätzliches Intervall. Die Gitarre klingt hart, teilweise schrill, sehr expressiv jedenfalls, versehen mit einem Oktavider oder einem Wah-Wah-Pedal ... Tacuma hält mit seinen obszessiven Ostinati den Groove und die Band zusammen. „Explorer" - dieser Eindruck bestätigt sich. Manchmal scheint man Kosmonauten bei der Arbeit zu zu schauen. Bourelly mit Kopfhörer versehen, beschäftigt sich zeitweise mehr mit seinem Laptop, als mit seiner Gitarre, tut dies aber in aller Ruhe und Gelassenheit. ... Ja, sie nehmen sich die Zeit, die sie brauchen.
Dann gibt es eine Ansage. Das nächste Stück heißt: „Butchy Dust“. Eine Hommage an den Kollegen Butch Morris, Musiker und Komponist der Improvisierten Musik, der vor einigen Wochen verstarb. Die Klänge sind sehr pittoresk und gewöhnungsbedürftig, alles wird getragen vom mitreißenden Beat der digitalen Reproduktionsmaschinerie - und von den Fotos, die die Musik programmatisch in einen historischen Kontext stellen. Es geht um die Geschichte des „Schwarzen" Amerika. Wir hören Stimmen: Martin Luther King, „Do You know the Pain?“ ... Wir sehen Muddy Waters, Bob Marley und John Lee Hooker, während Bourelly shoutet, unisono zu seinen Soli mitsingt und streckenweise schreit. Ob das der Seele entspringt oder pure Show ist, lässt sich nicht beantworten. Das Konzert zieht sich ...
Und dennoch wird der zweite Teil des Abends spannender. Die Solisten zeigen mehr instrumentale Klasse. Die Improvisationen werden länger und intensiver. Wenn man im ersten Teil noch etwas kritisch urteilte, wird man jetzt eines besseren belehrt. Da stehen eben doch Klasse-Musiker auf der Bühne. Musiker, die im Jazz der afro-amerikanischen Tradition verwurzelt sind, aber dennoch auch im Bereich des Funk, Blues und Pop agieren. Und die Show? Die muss eben auch sein. Das nächste Stück, angestimmt von Bowie: „The Nighttime, is the right Time ...“ Das Publikum wird zum Mitklatschen aufgefordert. Wahrlich sehr explorativ! Aber es ist nicht das letzte Stück. Nach der Vorstellung der Musiker spielt Bourelly (irgendwie überraschend) in oktavierten Sub-Lagen weiter. Soll das so sein?
Dennoch hat diese Performance auch Phasen, in denen wenig passiert. Nach drei Stunden fragt man sich, in welcher Beziehung stehen dieser oder jener Klangabschnitt zu dem jeweiligen Bild, oder ist vieles gar austauschbar, beliebig. Ein sehr interessantes Konzert, das viele spannende Momente in akustischer und optischer Hinsicht bot, allerdings auch manchmal seine Längen hatte.