WDR 3 Jazzfest im domicil
Wiresongs, Pablo Held und Sco und Nguyên Lê
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Das WDR 3 Jazzfest tourt aktuell durch NRW und macht nach Köln und Gütersloh bei seiner dritten Runde in diesem Jahr Station im Dortmunder domicil. Ein volles und gehaltvolles Programm, was die WDR 3-Jazzredaktion unter Leitung von Bernd Hoffmann zusammengestellt hat.
Der Donnerstag ist geprägt von drei Acts. Den Beginn macht die Schweizer Vokalistin Sarah Buechi, die ihr neues Projekt zum ersten Mal mit dem Kölner Holzbläser und Komponisten und WDR-Jazzpreisträger 2011 Niels Klein mit seinem Quartett vorstellt. Das Projekt Wiresongs beschreibt programmatisch den Umgang mit Songmaterial, das mithilfe von viel verdrahteter Technik, also: Effekttechnik bearbeitet wird. Sarah Buechi hört man ihre Ausbildung als Jazzsängerin und ihre weltmusikalischen Erfahrungen an, sie strapaziert bei den Songs ihre Stimmbänder enorm, Intervallsprünge gehören genauso selbstverständlich zu ihrem Repertoire wie eine – auch technisch raffiniert verdoppelte – Mehr-Stimmlichkeit. Das wirkt auf die Ohren des Rezensenten zum Teil etwas zu exaltiert, ist aber sicherlich hohe Sangeskunst. Besonders spannend sind die Dialoge mit Niels Klein s Klarinette, die mal wie eine Distortion-Gitarre, mal wie ein fremdartiges Blasinstrument klingt, am besten allerdings korrespondiert sein Klarinetten-Klang mit Sarah Buechis Stimme. Diese Einschätzung passt ein wenig zu dem Gesamteindruck: Weniger „wire“ wäre mehr, weniger elektrifizierter Effekt käme dem musikalischen Kern einer zweifelsohne hervorragend aufspielenden Musikergruppe – mit übrigens Frank Wingold an der Gitarre, Etienne Nillesen an den Drums und Matthias Akeo Nowak am Kontrabass – zugute. Der etikettierende Kommentar des Moderators des Abends zu dem Quintett und zur Sängerin „Joni Mitchell auf Acid“ mag zwar ein medienwirksamer Slogan sein, allein er wird kaum Sarah Buechi und dem Niels Klein -Quartett gerecht.
Ein Jungtrio traf auf eine Jazzlengende
Dann gab es erst einmal eine lange Pause – der Zeitvorgabe des WDR geschuldet, die zum ersten Mal ausgesuchte Konzerte per Live-Video-Stream auf wdr3.de überträgt. Mit Spannung erwartet wurde der Auftritt des Pablo Held Trios mit John Scofield – der vielfach dekorierten Jung-Garde des Jazz mit dem Pianisten Pablo Held , dem Basissten Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel an den Drums. Das sensationelle Konzert des Jungtrios mit der Jazzlegende in der Kölner Philharmonie Ende Januar 2014 erlebt damit dank des WDR eine Wiederauferstehung oder besser: Weiterentwicklung. Pablo Held bedankt sich zurecht bei der Kölner Philharmonie und bei Bernd Hoffmann für diese Chance. Der Erfolg dieses Kölner Konzerts und sicher auch des Mitschnitts auf der ebenso erfolgreichen CD-Veröffentlichung lässt viel erwarten, die Erwartungen werden an diesem Abend im domicil nicht enttäuscht. Zu erleben ist ein wunderbar relaxter Dialog des Youngster-Trios mit dem Altmeister, Pablo Held s Kompositionen Cameo und Nocturne rahmen die beiden unmerklich ineinander übergehenden Sco-Klassiker Kubrick und Camp Out ein, bevor Imaginery Time von Scofield den Schlusspunkt setzt. Eine großartige Interaktion von allen Musikern entwickelt sich bei den Stücken, die Jungmusiker spielen unbeeindruckt von dem gemeinsamen Auftreten mit der Jazzlegende auf, Landfermanns Bass gibt mit dem kraftvollen Spiel des Drummers Jonas Burgwinkel dem gesamten Auftritt einen ebenso nuancierten wie powerorientierten Drive, Pablo Held erweist sich wieder einmal als überaus virtuoser und vielfältig oszillierender Pianist. Traumwandlerisch harmonisch interagieren die Musiker, nehmen die verschlungenen Intros von Scofield kunstvoll auf, Letzterer hört stellenweise gebannt dem Trio zu, um mit einem furiosen Solo einzusteigen. Das ist großartige Improvisationskunst. Außerhalb des Live-Streams gibt’s noch eine Zugabe: drei Minuten sollen es nach Absprache werden, es entwickelt sich ein 8-minütiger Dialog von Musikern, die gerne aufeinander hören und miteinander spielen – frisch, intuitiv und offen.
Imaginäres Kino auf der Sologitarre
Den Abschluss des Abends bietet eine Soloperformance mit dem in Frankreich lebenden Gitarristen und Klangkünstler Nguyên Lê. Dieser begleitet solo auf seiner Gitarre mit viel Sampling- und Effekt-Technik den japanischen Stummfilm-Avantgarde-Klassiker Kurutta Ippeji aus den 1920er Jahren. Zu den expressionistisch geprägten Filmbildern mit einer kruden Geschichte in einem Irrenhaus entwickelt Lê – über einen Spiegel synchron mit der Projektion verbunden – einen subtilen akustischen Code. Diese Performance als Filmmusik zu bezeichnen, beschriebe den Klangzauber Lês nur sehr unzureichend. Vielmehr erleben wir einen wundersamen Bilder- und Klangsturm, ein überaus gelungenes transmediales Ereignis.