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Warme Farben gegen kalte Politik

Bericht vom New Colours Festival 2025

Gelsenkirchen, 23.09.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Während die nordrhein-westfälische Kulturpolitik mit der Abrissbirne durch die Förderlandschaft fährt, entfaltet sich schöpferische Kraft dort am nachhaltigsten, wo sie aus regionaler Verwurzelung und kosmopolitischer Offenheit gleichermaßen gespeist wird. Susanne Pohlen und Bernd Zimmermann haben sich beim New Colours Festival 2025 von widrigen Gegebenheiten nicht unterkriegen lassen. Mit vielfältiger Unterstützung, nicht zuletzt aus der lokalen Wirtschaft, demonstrierten sie, was entsteht, wenn kuratorische Sensibilität auf organisatorische Meisterschaft trifft: Klänge mit Substanz, die in verschiedenen ästhetischen Idiomen zu ihrem Publikum finden.

Genius Loci als ästhetisches Programm

Die Entscheidung, Konzerte an Orte mit starker eigener Geschichte zu bringen, erwies sich als zentrale ästhetische Setzung auch dieser vierten Festivalausgabe. Vor allem jene Besucher, die zum ersten Mal dabei waren, äußerten sich überrascht und begeistert von der atmosphärischen Energie, die von diesen Spielstätten ausgeht, wenn sie mit Klängen aus der vielfältigen Gegenwart bespielt werden. Auf dem Nordsternturm, vermutlich der höchsten Konzertbühne im Ruhrgebiet, entfaltete das französische Trio The Litany Of The Peaks seine Erkundungen zwischen archaischer Folklore und zeitgenössischer Improvisation, während die Sonne hinter den Industriesilhouetten versank, um ein meditatives Gesamtkunstwerk zu komplettieren.

Drei junge, hochmotivierte Interpreten, die aus den reichen, manchmal archaischen Traditionen ihres Heimatlandes schöpften, aber diese durch innovative Instrumentenbeherrschung in etwas vollkommen Gegenwärtiges verwandelten. Das Cello spielte „dreckig" und mit krachenden Pizzicati. Die Geige weinte und schrie zugleich, während die Klarinette orientalische Wendungen in eigenwilligen Grooves verwob. Dass manche dieser Erkundungen ins Weitschweifige tendierten, tat der Faszination keinen Abbruch – im Gegenteil: Die künstlerische Neugier der Akteure stimulierte auch beim gebannt lauschenden Publikum jene gespannte Aufmerksamkeit, die entsteht, wenn Bekanntes in unvorhersehbare Richtungen aufgebrochen wird.

Eine unmissverständliche Band-Chemie 

Es war nicht geplant, aber ergab sich umso eindrücklicher wie von selbst, dass diese Festivalausgabe einen kleinen „Frankreich-Schwerpunkt" bekam. Teil zwei davon: Vincent Peiranis Trioband „Jokers" rockte das Schloss Horst und bewies dabei, dass das Akkordeon doch viel mehr kann, als einfach nur virtuos-folkloristische Stereotypen zu bedienen, die auch im Jazz weit verbreitet sind. Und statt eines eitlen Solotrips setzte „Jokers" auf eine unmissverständliche Band-Chemie. Gemeinsam mit Federico Casagrande an der Gitarre und Ziv Ravitz am Schlagzeug nahm eine untergründige Klangwelt ihren energetischen Lauf, um vor dem staunenden Publikum alle Grenzen zu sprengen.

Die Gitarre rockte und sägte, Ravitz feuerte Beats ab, die bis in die Knochen durchdrangen – nennen wir das, was dabei herauskam, Jazz, Rock, Dubstep oder was auch immer. Peirani agierte wie ein Besessener mit Harmonien, die schmerzten, aber auf angenehme Weise – und auch dies verband sich mit den wechselnden Farbprojektionen auf die jahrhundertealte Schlossfassade.

Die kuratorische Leistung des New Colours Festivals verdient auch deswegen Respekt, weil sie in unterschiedlichsten Genres den Aspekt von Zugänglichkeit nicht als Kompromiss, sondern als Kunst begreift. Da konnte man auch mal eines Besseren belehrt werden und Vorurteile ganz schnell abstreifen. Das slowakische Duo Lash & Grey hat sich einem Singer-Songwriter-Repertoire und Vocal Jazz mit klassischen Attributen verschrieben. Die Antithese zu allen damit verbundenen Stereotypen ergab sich aus dem „Wie", mit dem das Duo etwas Neues, Eigenes an sein Publikum im Schloss Horst weitergab. Sängerin Kristina Mihalova verfügt über Gefühl und Technik, vor allem aber über unerschöpfliche, auch kokette Darstellungslust. Der geniale Gitarrist Jakub Sedivy agierte derweil wie eine ganze Band und spielte Akkorde, als wären fünf Interpreten am Werk. Etwas Altes nehmen, aber dies ganz neu beleben und damit als konsequente Durchlauferhitzer für Zeitloses agieren – dieses Duo macht vor, wie so etwas geht.

Spirituelle Verdichtung in sakralen Räumen

Schon viel wurde über den postindustriellen Strukturwandel im Ruhrgebiet gesagt und geschrieben. Ein anderer gesellschaftlicher Strukturwandel ist ebenso Realität – und wurde bei der aktuellen Festivalausgabe engagiert genutzt: Noch nie waren so viele Kirchen zu Festivalspielorten geworden, was so manches historische Kleinod in den Fokus rückte. Zum Beispiel die Bleckkirche, vor deren Altar aus dem 16. Jahrhundert das Trio Honey Bizarre Aufstellung nahm. Die Thereminspielerin Gilda Razani , Hanzō Wanning an den Keyboards und der Perkussionist Fethi Ak schufen mit ihrem faszinierenden Spannungsfeld aus elektronischen Soundscapes und orientalischen Rhythmusstrukturen ein definitiv nicht religiöses, aber dennoch tief spirituelles Gemeinschaftserlebnis.

Razani ließ imaginäre Saiten schwingen innerhalb der Magnetfelder ihres Theremins, Wanning malte sehnsuchtsvolle Klangfarben auf dem Synthesizer und griff kraftvoll in die Tasten. Ak lieferte auf Djembe und Tablas ein dichtes, ethnisch gefärbtes Feuerwerk aus filigranen Beats. Dass Razani, die aus dem Iran stammt, mehrere Stücke jenen Frauen widmete, die im Kampf gegen das dortige Regime ihr Leben ließen, verlieh dem Konzert eine notwendige politische Dimension. Die Klangwelt dieses Trios ist auch auf Technofestivals wie etwa dem Fusion zu hören – hier in dieser Kirche entfaltete sie eine spirituelle Intimität, die wohl einzigartig bleiben wird.

„Frankreich-Schwerpunkt" Teil drei: Als großen Moment in der jungen Geschichte des Festivals darf man das Solorezital des katalanischen Bassisten Renaud Garcia-Fons bezeichnen, dem man ohne Weiteres Augenhöhe mit dem Solorezital von Joachim Kühn bei der Debütausgabe attestieren darf. Welch weltoffener Geist geht bei diesem Virtuosen mit seinen beispiellos beseelt agierenden Händen einher! Sein Fingerpicking lässt fast jeden Gitarristen alt aussehen. Wenn er sich im gestrichenen Spiel bis in höchste Lagen schraubt, dürfte selbst den meisten Geigenvirtuosen schwindelig werden – doch das war in der Matthäuskirche so viel anderes als eine eitle Technik-Demonstration. Jedem Ton in seinem multistilistisch geprägten Repertoire wohnt humanistische Neugier, Weltoffenheit, Demut vor den unermesslichen kulturellen Reichtümern inne. Ob er bei iranischen Stücken in orientalische Tonalität eintaucht oder ein Blatt Papier unter die Saiten schiebt, um traditionelle Instrumente aus Burundi nachzuempfinden – stets lud er zum empfindsamen Mitreisen ein, was eben auch eine hohe weltverbundene, humanistische Botschaft fühlbar macht.

Es gab auch Sounds zum Abgehen: Bobby Rausch brachte den Stadtbauraum mit technolastigen Soundscapes von beträchtlicher Entgrenzung zum Beben, das hochkultivierte Vorprogramm für dieses Spektakel hatte die Noah Reis Ramma Group geliefert, eine hoffnungsvolle Nachwuchsband, von der man noch viel hören wird. Ein energetisch treibendes Finale beschloss schließlich am Sonntagabend den Konzertmarathon in der Heilig-Kreuz-Kirche, und das lief auf eine professionell stimmige Fusion zwischen spielfreudig serviertem Fusion-Funk und epischen Rock-Ausflügen hinaus, denn in solchen Gefilden fühlt sich die Schlagzeugerin Anika Nilles mit ihrer Band ganz besonders zu Hause.

Kulturpolitische Realitäten und künstlerische Antworten

Die Freude, dass während der zwölf Konzerte an vier Tagen in zehn Locations alles so rund lief, war grenzenlos, vor allem angesichts der schwierigen Vorgeschichte. Bernd Zimmermann nahm sich bei seinen Anmoderationen viel Zeit, um das Publikum für ungemütliche kulturpolitische Realitäten zu sensibilisieren. Unter anderem ließ er auch die Zahlen sprechen: 2025 musste Nordrhein-Westfalen bereits 5,5 Millionen Euro bei der Kultur einsparen – 2026 werden es 8,5 Millionen sein. Am Ende werde das wieder die Kleinen, also die freie Kulturszene, zu der auch der Jazz zum größten Teil gehört, treffen. „Obwohl es nur 0,005 Prozent des nordrhein-westfälischen Gesamthaushalts ausmacht, bedeutet es für uns Kulturschaffende teilweise das Ende."

Ein Festival wie New Colours zeigt hier umso deutlicher auf, was möglich ist, wenn Kultur nicht als Kostenfaktor, sondern als gesellschaftliche Notwendigkeit begriffen wird. Gelsenkirchen demonstrierte vier Tage lang, dass das Ruhrgebiet längst mehr ist als verblasste Industriekultur und Fußballbesessenheit. Es kann auch Kunst – wenn man es lässt.

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