Bild für Beitrag: Kreativ und interdisziplinär | Das Vilnius Jazz Festival 2024
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Kreativ und interdisziplinär

Das Vilnius Jazz Festival 2024

Vilnius, 16.11.2024
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Vygintas Skaraitis, Greta Skaraitiene, Daiva Kloviene

Es lebe das Duo! Fans dieser kleinsten Besetzung nach dem Solo dürften zufrieden nach Hause gegangen sein nach dem ersten Abend des 37. Vilnius Jazz. Hat Festivalleiter Antanas Gustys doch gleich mal drei Duo-Formationen auf die Bühne des wunderschönen Alten Theaters von Vilnius gestellt. Da las Vytautas Landsbergis, Musiker und Musikologe sowie bedeutender Politiker und erstes Staatsoberhaupt seines Landes nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens 1990, seine eigene Poesie vor. Dazu trommelte der legendäre russische, aber schon ewig in Litauen lebende Vladimir Tarasov spontan, was ihm dazu einfiel. Leider oft ein wenig spannungsarm, das Ganze. Sicher auch, weil man als Nicht-Litauer die litauischen Texte nicht verstand. Die beiden Franzosen Vincent Courtois und François Corneloup brauchten auf Cello und Baritonsaxofon dagegen keine Worte und begeisterten mit ihren Konversationen zwischen griffigen, kurzen Melodiesprengseln und freien Gedanken ebenso wie anschließend das australische Duo Alister Spence (Piano) und Tony Buck (Schlagzeug).

Der zweite Festivalabend ging gleich in die Vollen. Flöte, Schlagzeug und elektrische Harfe machen als Instrumentierung schon mal neugierig. Und was Delphine Joussein, Rafaëlle Rinaudo und Blanche Lafuente als Trio Nout damit anstellen, ist wild. Die jungen Französinnen modifizieren nicht nur die Sounds von Flöte und Harfe, die dann nach allem Möglichen klingen, sie servieren auch einen betörenden Mix aus Jazz, Noise-Rock und Electro, der mal detailreich, leise und fast akustisch klingt, im nächsten Moment aber brachial und wie ein Heavy Metal-Gewitter über den Zuhörer hereinbricht. Amirtha Kidambi´s Elder Ones setzen anschließend mehr auf hypnotische Soundlandschaften. Die charismatische Figur der US-Band ist die indisch-amerikanische Sängerin und Harmonium-Spielerin Amirtha Kidambi, deren starkes soziales und politisches Bewusstsein sie bei ihren Ansagen nicht verbergt, vielleicht manchmal sogar zu oft betont. Ihre auf dem Harmonium produzierten Drones und ihr oft wortloser Gesang kontrastiert ihre Band mit zwei exzellenten Saxofonisten, Kontrabass und Schlagzeug mit vielen Texturen und Rhythmen und gestaltet einen packenden Spiritual Jazz mit südindischem Flavour.

Ein japanischer Abend startete mit zunächst drei allerdings mitunter etwas langatmigen Klangsucherinnen, mit der litauischen Pianistin Gintė Preisaitė und den beiden Japanerinnen Sachiko M am Oszillator und Perkussionistin und Marimbaspielerin Aikawa Hitomi. Der Höhepunkt war ohnehin der Auftritt der vielköpfigen Otomo Yoshihide Special Big Band. Das Orchester des legendären Gitarristen und sein Hardcore Avant-Noise-Jazz-Rock-Gebräu riss das Publikum mit viel Verve und zwischendurch auch mal herrlich groovenden, griffigen Passagen und heißen Bläsersätzen im ausverkauften Theater unweigerlich mit.

Das LENsemble des litauischen Dirigenten Vykintas Baltakas, eine Band mit elf Holz- und Brassbläsern, Kontrabass und Schlagzeug und beim Vilnius Jazz verstärkt durch die belgische Sopranistin Naomi Beeldens, forderte vom Publikum viel Aufmerksamkeit. Vor allem mit dem gut halbstündigen Multimedia-Werk „M is for Man, Music, Mozart“ des niederländischen Komponisten Louis Andriessen, zu dem der britische Filmregisseur Peter Greenaway gesellschaftskritische, provozierende Filmsequenzen beisteuert, die auf einer großen Leinwand über der Bühne laufen. Ein Spiel mit Worten, mit sensibler Ästhetik gezeichnete Bilder, ein Werk für die Sinne, das Fragen aufwirft. Großartig gespielt vom LENsemble. Auch Andriessens Werk „Il Duce“ provoziert in Vilnius. Weniger mit den Auszügen einer Rede des italienischen Diktators Mussolini an sich, aber wie seine Worte dann minutenlang geloopt werden, sich durch geschickte Tonbandmanipulationen dabei langsam auflösen und selbst zerstören – ein starkes Statement zum Thema Faschismus, das am Ende durch eine Coda mit den berühmten Klängen von Richard Strauss´ „Also sprach Zarathustra“ einen passenden Schlusspunkt bekommt.

Der Nachwuchswettbewerb Vilnius Jazz Young Power im Theater sowie interessante Vorträge über die Kunst des Arrangierens oder die japanische Jazzkultur, die zum ersten Mal im schicken Museum für Moderne Kunst, dem MO Museum, stattfanden, rundeten das Festival ab. Und zum ersten Mal gab es auch Kinoabende direkt vor und nach den Festivaltagen, mit interessanten Filmen des britischen Dokumentarfilmers Dick Fontaine über Art Blakey oder Sonny Rollins. Und sein bedrückender Streifen „I Heard It Through The Grapevine“ aus den frühen 1980ern, in dem die Kamera den afroamerikanischen Bürgerrechtler und Autor James Baldwin durch eine Reise durch den amerikanischen Süden begleitet, wühlte auf. Der Film blickt auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern zurück. Ein schrecklich aktueller und daher wichtiger Film. Nicht immer muss der Jazz tönen bei einem Jazzfestival.

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