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Vis a Vis

Hilde im Bunker Ulmenwall

Bielefeld, 18.12.2021
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Vergessen wir die Frontalbeschallung: Im ehemaligen Luftschutzbunker unterhalb der verkehrsreichen Bielefelder Stadtmitte bildet eine kleine Bühne das Zentrum, flankiert von jeweils zwei Zuschauerräumen. Raffinierte Perspektiven eröffnen zudem mehrere, über dem Viereck aufgehängte Spiegel. Vis a vis zu spielen ist für jede Band die logische Konsequenz – und das sorgte auch bei „Hilde“, einem experimentierfreudigen, ausschließlich weiblich besetzten Quartett aus NRW für maximale Vertiefung.

Julia Brüssel , Violine, Maria Trautmann , Posaune, Marie Daniels , Stimme und Emily Wittbrodt, Cello,haben sich im Ruhrgebiets-Kollektiv „The Dorf“ kennengelernt, welches im November im Dortmunder domicil sein 15jähriges Bestehen feierte. Der dort gelebte, freie künstlerische Ansatz strahlt in die eigenen künstlerischen Projekte vieler Protagonisten hinein, wirkte also auch für die Band Hilde wie eine Keimzelle für die eigene Kreativität.

Der Horizont ist weit und die Fantasie reich. Und da ist viel Bereitschaft, sich ganz auf den Moment einzulassen. Beim Konzertbeginn in der Bielefelder „Unterwelt“, dominiert eine Art Ur-Chaos aus Klängen, Frequenzverläufen und Geräusch-Gesten. Nichts ist hier geradlinig getaktet oder architektonisch geordnet. Alles wuchert frei, entwickelt sich organisch und dies in unmittelbarer Konfrontation. So verschlungen auch die Strukturen, so scheint ein direkteres „Instant Composing“ dabei kaum denkbar. Aber das ganze hat eine Richtung - aus der frei wuchernden Individualität geht es in die gemeinsame Mitte hinein. Frequenzverläufe bekommen Struktur, stationäre Bordun-Töne geben den feinsinnigen Gebilden viel Grund und Boden, ja sowas wie Erdung.

Aus der Abstraktion ins Lyrische vorstoßen

Beide Sets, welche „Hilde“ im Bunker Ulmenwall spielt, durchlaufen wechselnde Stadien.Zuweilen ist es eine verschlungene, dichte „Musique Concrete“, in der vor allem Marie Daniels ihre Stimme in allerhand lautpoetischen Nuancen einsetzt. Maria Trautmann s Posaune bringt kraftvoll artikulierende Rhetorik in die Sache, die auch rhythmisch strukturierte Gestalten hervorbringt. Derweil der ganze schillernde Klangreichtum gestrichener und gezupfter Saiten aus Emily Witbrodts Cello und Julia Brüssel s Violine Assoziationen an alle möglichen kühnen Streicher-Komposition des 20. oder auch 21. Jahrhunderts weckt, ebenso blitzen fantasievolle Anspielungen auf Renaissance oder frühe Barockmusik auf. Aber mit solchen Ressourcen um sich selbst zu kreisen, ist nicht Sache der Band „Hilde“: Mehr und mehr schälen sich Songstrukturen aus diesen ganzen Klangszenarien heraus. Aus dem Abstrakten sich ins Lyrische hervor wagen, darum geht es – umso mehrm wie schließlich die Gesangslinien emotional wirkungsstarke Songstrukturen, sozusagen als Fazit des Vorhergehenden, formen.

Haben diese musikalischen Abenteurerinnen diesmal etwas völlig anderes gespielt als beim letzten Konzert? Oder hat man einfach wieder mal andere, völlig neue Aspekte in diesem befreiten Ideenfluss entdeckt? Ein Gespräch mit den Musikerinnen danach stellte klar, dass beides der Fall ist.

Die Band „Hilde“ wird, wie etliche andere „Jazz“-Formationen in NRW, durch die Richard Dörken Stiftung gefördert. Mit einer solchen Wahl beweist die renommierte Stiftung, die sich seit 1987 um den Musikernachwuchs NRW beliebt macht, eine weitblickende Offenheit für aktuelle künstlerische Gegenwart.

Ist das Glas halbleer oder halbvoll?

Für Frank Ay (künstlerische Leitung im Bunker Ulmenwall) und Frieda Wieczorek (Geschäfts- und pädagogische Leitung) war es ein besonderes Geschenk, dass dieser Abend kurz vorm Jahresabschluss noch zustande gekommen war. Viele Konzerte wurden abgesagt. Bei den wenigen noch stattfindenden Veranstaltungen ist der Zulauf eher spärlich. Auch das brillante Triokonzert mit Alexander von Schlippenbach, Rudi Mahall und Dag Narvesen hatte in einem doch sehr „exklusiven“ Kreise stattgefunden. Für einen feinsinnigen Jahresabschluss sorgte eine Konzert-Lesung mit dem Cellisten und Schriftsteller Willem Schulz, welcher der Geschichte seines eigenen Instruments nach geht.

Mit einer Mischung aus Hoffnung und Ungewissheit schauen Frank Ay und Frieda Wieczorek in die nächsten Monate. Können weiterhin Konzerte wie geplant stattfinden? Wie viele Menschen werden kommen? Das Geld ist nach wie vor knapp. Die Einnahmen aus den Spielstättenprogrammpreisen sichern gerade so das „Überleben“ bei der Programmplanung. Die Bielefelder Lokalpresse hat derweil, wie andere Medien auch, ihre regionale Kulturberichterstattung - aus welchen Gründen auch immer? - weitgehend „abgewickelt“. Trotzdem ist das Glas mindestens (!) halbvoll, wenn es um öffentliche Wertschätzung geht: Bielefelds östlicher Außenposten der Jazzszene in NRW hat sich auch im Sommer viel Gehör verschafft - und damit zur „corona-bedingten“ Rennaissance der Open-Air-Kultur gewichtig beigetragen. Das Sommerfestival „Bunker unter Ulmen“ hatte für Superstimmung, viel Publikumszulauf und positive, auch überregional wahrgenommene Ausstrahlung gesorgt.

https://bunker-ulmenwall.org/

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