Viele Farben unter einem Dach
42. Jazzmatinee im Dortmunder Opernhaus
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Was wäre der zweite Weihnachtstag ohne die große Jazzmatinee im Dortmunder Opernhaus? Und vor allem: Was wäre das Ruhrgebiet ohne seine vielfältige, an musikalischen Farben und kulturellen Milieus reiche Szene. Allein unter dem Oberbegriff des Jazz vereint sich doch so viel bunte Vielfalt. Jung trifft in Dortmund auf alt – und die ehrwürdige Pilspicker-Jazzband ist bereits so alt wie die Matinee selber: 42 Jahre. Da sangen dann auch gerne alle mit, als die Combo in nostalgischer Dixieland-Besetzung mit Banjo, Klarinetten und co. eine behaglich swingende Version von „Leise rieselt der Schnee“ anstimmte. Doch stieg – im Gesamten betrachtet - im weitläufigen Foyer des Dortmunder Musentempels alles andere als eine Nostalgie-Veranstaltung!
Da versetzen auch bei der aktuellen Matinee-Ausgabe vielfältigste tanzbare Grooves in beschwingte Partylaune - etwa das Exile Orchestra des Spaniers Richard Guerra Medina. Selten hat man so knackige Rap-Salven auf spanisch gehört. Housige Grooves bereichert um rituelle Rhythmusinstrumente erzeugt die Formation „Percussion Crime“ aus Essen. Und dann sind wir beim Streifzug durch die Areas und Menschenmengen auch schon im Kerngeschehen des Gegenwarts-Jazz angekommen - nämlich auf der „Modern Jazz“-Bühne, wo sich bestens ausgebildete und kreative Musiker präsentierten, die ihren eigenen Weg bereits gefunden haben. So treibt in Dortmund der hochdynamische Fusion-Jazz der Patric Siewert Group mächtig voran: Dieser aus Herne stammende Virtuose auf dem E-Bass nimmt seinen selbstbekundeten Anspruch wörtlich, mit seinen zupackenden Läufen „immer ganz vorne dran“ sein zu wollen. Sein Spiel auf dem Fünfsaiter will keinen Stillstand kennen und sind umso mehr ein Treibriemen für noch mehr pulsierende rhythmische Intensität seitens des Schlagzeugers Jaime Andres Moraga, der jede erdenkliche Lücke ausfüllt und weiter verdichtet. Sowas liefert natürlich hinreichend Feuer, um damit die hellwachen Klavierimprovisationen von Felix Römer zum Leuchten und Funkeln zu bringen.
Wenn der Trompeter Lars Kuklinski mit seinem Ensemble eine durchkomponierte Suite aufführt, reagieren alte und neue Musiktraditionen ganz unmittelbar miteinander. Zusammen mit dem extrem variantenreich agierenden Cellisten Jörg Brinkmann, dem Gitarristen Hartmut Kracht und Peter Eisold am Schlagzeug führte die musikalische Reise assoziativ, manchmal fast collagenhaft durch Choräle, Sarabanden, durch melodiöse Parts und überraschende, extrem eindringliche Heavy-Rock-Ausbrüche. Vor allem die Umwege sind hier das Ziel - und „einfach nur gute Musik“ jenseits von Stilschubladen ist Resultat. Großartig ist hier nicht zuletzt die Kombination aus Cello und elektrischer Gitarre. „Bewaffnet“ mit vielen Effektgeräten versetzen beide Berge, wenn es um die Erweiterung von Klangwelten geht.
Nicht ganz so alt wie die Pilspickers, aber schon 30 Jahre auf den Livebühnen des Ruhrgebiets zuhause ist die Bläserformation „Schwarzrot-Atemgold“. Nicht ganz so alt wie die Pilspickers, aber schon 30 Jahre auf den Livebühnen des Ruhrgebiets zuhause ist die Bläserformation „Schwarzrot-Atemgold“. Sie ließ auf der großen Bigband-Bühne das Temperament zuverlässig überkochen und dabei auch viele orientalische und osteuropäische Farben aufglühen. Wie ein verlässlicher Herzschlag pulsiert das Schlagzeug, dazu wird auf Holz- und Blech in die Hörner gestoßen, wie wir es sonst nur aus den Blaskapellen der Volksmusik des Balkans kennen. Und „Schwarzrot Atemgold“ sind souverän genug, sich auch mal einen 80er-Jahre- Hit wie „Sweet Dreams“ einzuverleiben.