Verklärte Nacht

Zuweilen redete die Frankoschweizerin Julie Campiche über diese „Nacht“ - denn so ist es im französischen Sprachgebrauch durchaus üblich, wenn es um einen Abend geht. Aber diese charmante „Unkorrektheit“ im Gebrauch der deutschen Fremdsprache war atmosphärisch umso zutreffender für das meditative Konzert ihrer Band, dem Julia Campiche Quartett auf der Wasserburg Lüttinghof.

Auf der fast 1000 Jahre alten Wasserburg, die gerade in unwirtlicher Jahreszeit umso mehr zur stilvollen Zuflucht mit durchaus märchenhafter Aura wird, tauchten vier erfahrene Musikerinnen und Musiker tief in ihre Sache ein – was folgerichtig auch aufs Publikum abfärbte, welches fast den gesamten Rittersaal füllte.

Der Stoff aus dem die Träume beim Julie Campiche Quartett sind, besteht aus einer improvisatorisch offenen, lyrischen Mischung aus Jazz mit exotischen Elementen und repetitiven Strukturen, die sich jeder Pose verweigert und dafür umso mehr Sinne fürs Klanglich-Atmosphärische, zuweilen Melancholische und manchmal Mystische öffnet. Die Besetzung stellt ebenfalls jede tradierte Rollenvorstellung auf den Kopf. Die Harfenistin Julie Campiche ist vor allem Bandleaderin und musikalisch gesehen mit beiden Füßen auf dem Boden. Bzw. bei diesem Konzert vor allem auf den Pedalen, denn die braucht wohl es ständig bei den vielen Jazzharmonien und alterierten Akkorden. (Darauf machte mich der Begleiter dieses Abends, ein professioneller Komponist und Dirigent aufmerksam…) Nachdem Julie Campiche klassische Harfe am Genfer Konservatorium studiert hatte, entdeckte sie den Jazz eher zufällig, als sie mit 20 in einer Bigband aushelfen musste.

Auf kollektiver Fantasiereise unterwegs

Julie Campiches Spiel schwelgt nicht nur in ätherischen Tongirlanden und virtuosen Improvisationen, sondern legt mit klar fokussierten Riffs verlässliche Spuren für ihre Mitmusiker. Leo Fumagalli stellt nuancenreich die Klangregister seines Saxofons in den Dienst dieser kollektiven Fantasiereise. Manchmal glaubt man gar, ein armenisches Duduk zu hören. Bassist Manu Hagmann ist nicht minder variabel unterwegs, denn das wollen die tonal reich verschachtelten Arrangements. Und auch Schlagzeuger Clemens Kuratle taucht produktiv ein, wenn er mit energischen Fill-Ins und durchbrochenen Beats die empfindsame gemeinsame Sache voran treibt. Ihr Gig auf der Burg Lüttinghof kehrt die eher „akustischen“ Seiten dieses sehr offen und variabel agierenden Quartetts heraus. Eine solche Gangart pflegt auch das aktuelle, zweite Album „You Matter“, welches in der Musik auch viele politische Aussagen über das menschliche Zusammenleben und die Zukunft unseres Planeten transportiert.

Ein großes Kompliment verdiente die Soundabmischung, für die Veranstalter Bernd Zimmermann bei den FineArtKonzerten eigenhändig verantwortlich zeichnet. Der Rittersaal hat eine empfindliche Akustik. Hier so ungleiche Instrumente wie Schlagzeug, Saxophon, Kontrabass und Harfe zu kombinieren ist sportliches Unterfangen genug. Aber das Resultat war lupenrein und brillant und versetzte auch dass Zwerchfell in wohlige Schwingungen beim Abschlusskonzert der diesjährigen Saison bei FineArtJazz.

Nach der Saison ist vor der Saison. Am 26. Januar gibt es die Neuauflage eines Events, das schon vor einigen Jahren alle verstaubten Klischees von Jazz zerstäubte: LBT, ausgeschrieben das Münchener „Leo Betzel Trio“ spielen virtuosen, handgemachten und improvisatorisch weitergedachten - Techno! Die Hertener Schwarzkaue Schlägel und Eisen soll am 26. Januar beben.

Aktuelles AlbumJulie Campiche: We matter enja 2022