Und wieder eine Legende
Jack DeJohnette Trio feat. Don Byron
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Es ist noch keine Woche vergangen, schon kann man in Essen nach dem Wayne Shorter Quartet eine weitere Jazz-Legende erleben: Weltklasse-Drummer, Komponist, Pianist, Solist, Bandleader Jack DeJohnette (71) gastiert mit seinem Trio in der Reihe „Jazz in Essen“ im Grillo-Theater. Mitglieder des Trios sind der bekannte Keyboarder und Pianist (und „Taschen-Trompeter“) George Colligan und Jerome Harris am E-Bass, ein alter Weggefährte von Jack DeJohnette. Das Trio wird auf dieser Tournee erweitert um Don Byron an der Klarinette und am Tenorsaxophon – wie DeJohnette auch er ein Künstler mit einem großen Repertoire an verschiedenen Musikstilen.
Die Erwartungen an das Konzert, v.a. an Jack DeJohnette sind denn auch sehr hoch, steht doch einer der prominentesten Jazzmusiker live auf der Bühne, der mit den bekanntesten Jazzern wie John Coltrane, Miles Davis, Ornette Coleman, Sonny Rollins, Sun Ra, Thelonious Monk, Bill Evans, Stan Getz, Chet Baker, George Benson, Stanley Turrentine, Ron Carter, Lee Morgan, Charles Lloyd, Herbie Hancock, Dave Holland, Joe Henderson, Freddie Hubbard u.v.a. zusammengespielt hat, der seit über 25 Jahren mit dem überaus bekannten und populären Trio mit Keith Jarrett und Gary Peacock Jazzgeschichte schreibt. DeJohnette hat übrigens nicht nur in der Miles Davis-Phase mit Wayne Shorter zusammengespielt, sondern in einem weiteren Trio mit den Mitstreitern des Wayne Shorter Quartet, mit John Patitucci und Danilo Perez.
Ein Vergleich der beiden Formationen drängt sich auf, der jedoch hier nicht strapaziert werden soll. Soviel sei jedoch gesagt: Das Wayne Shorter Quartet wirkte in der Essener Philharmonie auf den Rezensenten von der Rhythmus-Fraktion deutlich zupackender und energischer, das (Zusammen-)Spiel von John Patitucci und Brian Blade haben eben unglaublich viel Power. Jack DeJohnette und Jerome Harris hingegen pflegen einen sehr feinen, fast schon elegant-zurückhaltenden Stil, den man in seiner unaufdringlichen Raffinesse am ehesten mit „sophisticated“ umschreiben kann. Gleichwohl, mit dem Jack DeJohnette Trio feat. Don Byron (Warum nennt man das nicht gleich Quartett?) betreten vier Jazz-Schwergewichte die Essener Bühne. Zu Recht weist Berthold Klostermann in seiner Begrüßung darauf hin, dass alle vier eine eigene Band verdient hätten.
Der erste kurze Part bis zur Pause umfasst die beiden „Klassiker“, die beiden DeJohnette-Kompositionen ‚One For Eric‘ und ‚Tango African‘. Erstere ist auch auf der CD „Special Edition“ von 1979 der Opener, eine Huldigung an Eric Dolphy. Hier gibt das komplexe Thema den Vieren einen Anlass für längere Improvisationen, die immer wieder zu dem Thema zurückfinden. Herausragend hierbei ist vor allem Don Byron an seiner kleinen (A-?)Klarinette mit einem spitzen und scharfen, fast aggressiven Ton. Dies bricht bewusst mit Erwartungen an den eher erdigen Sound der Bassklarinette, wie er von Dolphy oder David Murray auf der o.g. CD gespielt wurde. Bei allen improvisatorischen Ausflügen finden die Musiker nach abstrakten Höhen(-flügen) und multirhythmischer Dynamik immer zum gemeinsamen Groove zurück, was DeJohnette und nicht zuletzt auch dem wunderbar entspannten und samtenen Spiel von Jerome Harris an seinem headless-Bass zu verdanken ist.
Auch ‚Tango African‘ gerät zu einer 20-minütigen Kollektiv-Improvisation. DeJohnette scheint jedoch ständig unzufrieden mit seiner Base-Drum zu sein, mehrfach stimmt er sie um, ohne dass ihm das Ergebnis gefällt. Ein wenig gewinnt man den Eindruck, dass sich dies auch auf seine Stimmung niederschlägt. Im ersten Set wirkt DeJohnette so ein wenig lustlos, den Vorwärts-Drive verdankt das Konzert in dieser Phase vor allem Don Byron und George Colligan an den Keys.
Auch im zweiten Set gibt es mit ‚Blue‘ und ‚Ahmad the Terrible‘ nur zwei Stücke als Rahmen für lange Improvisationen, auch Letzteres ist eine Huldigung, dieses Mal an den Ausnahmemusiker Ahmad Jamal und gehört wie ‚One For Eric‘ zu dem Standard-Repertoire des Trios. Das Publikum wird – so scheint’s – in diesem Konzertteil mehr mitgenommen. Dies liegt vielleicht an dem kraftvollen Tenorsax von Don Byron, der bis auf einen kleinen experimentellen Ausflug in die mehrstimmige Effektecke phantasievoll soliert, ansonsten bei einem längeren Ein-Noten-Riff genauso einen vollen und schnörkellosen Sax-Sound bläst wie bei seinen Soli. Wunderbar auch Colligan an seiner Taschentrompete mit einem kristallklaren Ansatz oder mit seinen solistischen Einlagen an den Keys, denen er hochvirtuose Sentenzen im Stil des 70erJahre Rockjazz und zum Teil fernöstliche Klangfarben entlockt. Jerome Harris‘ Walking Bass und sein lyrisch schwingendes Bass-Spiel klingen nicht nur kantabel, er verdoppelt sein Instrument auch zum Teil mit seiner eigenen Stimme.
Den Abschluss des Konzertes bildet ‚Ramblin‘ – eine Komposition von Ornette Coleman, von DeJohnette sicherlich ebenfalls als Reminiszenz an den Weggefährten aus den „Song X“-Tagen gedacht. Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: Das gesamte Konzert in Essen ist bestimmt nicht von „Free Jazz“ bestimmt, überhaupt entzieht sich die Gruppe einer eindeutigen stilistischen Zuordnung. Das Trio/Quartett amalgamiert im Zusammen- und Solo-Spiel viele Jazzeinflüsse frei von Klischees mit einer hohen technischen Brillanz und einer entsprechenden Virtuosität. Hier mag man einen gewissen innovativen Ansatz vermissen, aber gute Musik kann ihre Qualität auch in einer Meisterschaft der Zurückhaltung und dem konzentrierten Einsatz ihrer Mittel zeigen. Jack DeJohnette ist in dem Kolorieren, dem Unterstützen und Weiterbringen von improvisierter Musik im Augenblick ihrer Performanz ein meisterhafter (Im-)Puls-Geber und idealer Moderator, der immer wieder in übrigens angenehm unprätentiöser Attitude die Besten des Jazz um sich schart.