Herzschlag für die Szene
The Dorf beim Umlandfestival
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Welches Konzert sollte ausgewählt werden, um es im Rahmen der Dortmunder Jazztage nochmal explizit zu würdigen? Die Wahl fiel auf einen Abend mit The Dorf im Rahmen des Umland-Festival. Denn „The Dorf“ trägt seit Jahrzehnten zu der Qualität bei, die das Domicil auszeichnet: Kontinuität. Hier bekam von Beginn an ein Ensemble in Residenz seine Heimat, um für die gesamte aktuelle regionale Szene einen kreativen, sich ständig selbst erneuernden Resonanzraum zu bilden.
Und dieser Abend vereinte gleich zwei Preisträger: The Dorf wurde gerade mit dem allerletzten Jazzpot in der Geschichte ausgezeichnet - bevor dieser Preis eingestampft wird. Und das Domicil? Das kommt im Moment ganz groß raus. Es gab nicht nur wieder einen APPLAUS, nein: gleich die höchste Anerkennung der Initiative Musik als Spielstätte des Jahres. Vor allem wegen seiner Programmplanung. Und zwar spartenübergreifend, in direkter Konkurrenz zur viel mächtigeren Popkultur.
Neben komfortabler finanzieller (Über-)Lebenshilfe explodiert dadurch gerade die Publicity rund um den Ruhrgebiets-Jazzclub. „Sogar die Bild-Zeitung hat sich bei uns gemeldet", staunt Geschäftsführer Waldo Riedl immer noch. Auch der WDR schickte gleich ein Team, um von diesem Abend mit „The Dorf“ ein exklusives Feature zu drehen.
Suppe, Sessions, Abwasch
The Dorf antwortet auf all den Jubel mit lässigem Understatement. Das ist vor allem work in progress. Konzerte wie an diesem Abend gehen aus den allmonatlichen Sessions hervor, bei denen auch immer eine leckere Suppe Leib und Seele bei allen Beteiligten zusammenhält. Sie wurde von den Bandmitgliedern zubereitet und war tatsächlich sehr lecker. Dass der Bandleader hinterher selbst beim Abwasch hilft? Ehrensache. Also zur Musik: The Dorf hat sich verändert und verjüngt. Langjährige Bandmitglieder sind gegangen, viele neue Gesichter prägen das Kollektiv. Auf den subversiv geerdeten Dorf-Sound ist weiterhin Verlass. Eine Doppelschlagzeugbesetzung macht richtig Power. Experimentelle Klangerzeugungen inkl. Pedal Steel, Gilda Razzanis Theremin und einem singenden, mit Handfeger gestrichenen Sägeblatt positionieren das bunte NRW-Kollektiv meilenweit weg von jeder steifen Big-Band-Konnotation.
Und so funktioniert auch die Dramaturgie: Jan Klare entlockt der Truppe einen hymnischen Einstieg mit einem gewichtigen Chorus. Kurz danach ein rascher Schnitt. Das Fenster wird aufgerissen, um in freien Impro-Flächen Farbe zu bekennen.
Dann übernehmen jene „Utopian Beats“ das Regiment. Rockig, mächtig schleppend bis furios treibend. Zwei Drummer kochen auf einem Level, der alles, nur keine Sparflamme ist. Ein gemeinsamer Herzschlag, der alle, auch das Publikum verbindet. Das ist oft krautrockig repetitiv und bringt immer wieder spannende Überraschungsmomente hervor: Etwa, als sich bald nach Beginn des Sets die Bläser und auch die Stimmen in pulsierende Tonrepetitionen einschwören, wie sie jedem Steve-Reich-Stück zur Ehre gereicht hätten. Großartige solistische Entfaltung gibt es zuhauf, denn hier sind so viele aus der lebendigen künstlerischen Gegenwart der improvisierten Musik vereint: Zum Beispiel Emily Wittbrodt, die mit einem furiosen Cellosolo eines der Stücke beginnt. Raissa Mehner an der E-Gitarre, Florian Walter mit verlässlich explosivem Saxofonsound, Markus Türk, der ebenso fokussiert die Trompete zum Leuchten bringt. Und und und. Die Kunst dabei: Das Ganze zu einer nie endenden klingenden Erzählung zu machen, ohne dass es auseinanderfliegt.
Das Viertel groovt
Dieses „Dorf“ nährt sich aus seinem kreativen Umland – und dafür sollte am letzten Wochenende auch das Umland des Domicils symbolisch bespielt werden. Vor 20 Jahren begann der Konzertbetrieb in einem ehemaligen Lichtspielhaus, welches mit Liebe zu einem Spielort mit Gastro- und Eventbereich ertüchtigt wurde. Das umgebende Brückstraßenviertel glänzt durch eine bunte Diversität. Die zu bespielen war ebenfalls ein Anliegen an diesem Wochenende. Neben dem Domicil befindet sich der renommierte Klavierhändler van Bremen: Eine Kleinformation nahm im Schaufenster Aufstellung und improvisierte feinsinnig über Themen der grandiosen Lili Boulanger – mit Stimme, Kammerensemble und gleich zwei Flügeln. Ein feiner Zug! Im schauraum: comic + cartoon improvisierten Ensembles zu Videopartituren, Live-Illustrator Artur Fast übersetzt das Gehörte zurück ins Bild. In Rudi's Waschsalon dialogieren Soundforscher*innen mit den mechanischen Rhythmen laufender Waschmaschinen. Die Grenze zwischen Alltagsgeräusch und Komposition: komplett aufgelöst. Schon am Nachmittag cruiste Jan Klare mit dem „Dorfmobil" durch die Fußgängerzone, um mitten in der Menschenmenge, die sich gerade für die vorweihnachtliche Konsumorgie eingroovt, echte, improvisatorische Basisarbeit zu leisten. Das heißt, Leute anzusprechen, die dazu animieren, dass sie der improvisierten Combo Melodien oder sonstwas nennen, woraus etwas Spontanes entsteht. Klare zog danach ein klares Fazit: „Straßenmusik machen, das ist echte Knochenarbeit." Ja, dieser kleine Trip nach Dortmund hat sich gelohnt. Schönes Fazit mal wieder: Jazz entsteht dort, wo Menschen zusammenkommen, aufeinander hören und gemeinsam etwas Neues wagen. Eben auch im Domicil. Im Hansaviertel. Im Hier und Jetzt. Mit allem, was klingt.



























