U.K. Quartett
Museumssaal wird zum Tonstudio
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Heinz Schlinkert
Früher war alles klar geregelt: Konzerte im Saal, Aufnahmen im Tonstudio. Dann gab es Live-Aufnahmen, vor allem von Festivals. 1960 holte Johnny Griffin für die Aufnahmesession gar seine Fans ins Studio und feierte mit ihnen eine ‚Jazz Party‘. Heute am 14.November beim Tatort Jazz ist es wieder was anderes. Das U.K. Quartett nimmt im Kunstmuseum Bochum seine zweite CD auf, ein ‚Coup‘ meint Milli Häuser.
- Der Saal als Tonstudio
Ein öffentliches Konzert, bei dem gleichzeitig Aufnahmen für eine Studio-CD laufen, das ist eine echte Herausforderung. Bei den klassischen Live-Alben der Blue Note Reihe hatte man aus mehreren Konzerten jeweils die besten Stücke ausgewählt. Für das U.K. Quartett gibt es aber nur dieses eine Konzert. Schon Jasper van’t Hof hat vor zwei Jahren im Bochumer Kunstmuseum ein Album aufgenommen, aber da hat er ganz allein gespielt. Heute sind es 4 Musiker, deren Instrumente ‚abgenommen‘ werden müssen.
Wolfgang Bökelmann (s. Foto links) ist der zuständige Toningenieur. Er erklärt mir, dass die 19 Mikrophone unterschiedlich genutzt werden. Manche leiten den Ton über eine PA an die Lautsprecherboxen im Raum. Dafür ist Dierk Dengel (s. Foto rechts) zuständig, der schon seit Jahren die Band bei ihren Konzerten als ‚Tonmeister‘ begleitet.
Andere Mikros sind für die Aufnahme reserviert. Einige allerdings werden in einem Digitalsplitting für beide Zwecke genutzt. Die analogen Signale der Mikros werden verstärkt und gehen dann über einen A/D-Wandler an den PC. Mit einer DAW (Digital Audio Workstation), hier das Programm Samplitude Pro, werden sie dann verarbeitet.
Vorher aber müssen unterschiedliche Mikros an geeigneten Stellen platziert werden, damit sie jeweils der Klangqualität des Instruments gerecht werden. Dabei ist auch der gesamte Raumklang zu berücksichtigen. Besonders die beiden übereinander montierten Mikros fallen auf (s. Foto rechts unten). Es handelt sich um ein Aufnahmesystem für den Raumklang, das in den 1930er Jahren von Alan Blumlein entwickelt wurde.
Uwe Kellerhoff ist ‚Chef‘ des U.K. Quartetts, darum heißt es so. Er erklärt erstmal die Modalitäten; u. U. müssen Teile oder ein ganzes Stück wiederholt werden. Das ist technisch kein Problem, da man mit der modernen Software Teile problemlos in eine andere Aufnahme einsetzen kann. Früher musste man die kompletten Stücke wiederholen. Coltrane war dafür bekannt, dass er im Studio immer wieder neue Takes aufnehmen wollte, obwohl die vorherigen gut waren. So etwas geht bei einer Live-Aufnahme mit Publikum natürlich nicht, wird wohl auch gar nicht nötig sein.
- Das Konzert
Die Atmosphäre ist schon eine andere, denn wegen der Aufnahme müssen Störgeräusche vermieden werden. Da kann man fast schon eine Stecknadel fallen hören. Das Konzert beginnt mit Volle Maus voraus, eine Komposition des Bassisten Alex Morsey im Stil von Dave Brubeck. Uwe spielt die Drums sehr melodisch, so dass es wie Joe Morello klingt. Peter van Heusen ist mit einem Solo am Sopransax dabei, melodisch, distinguiert.
Es folgt das sehr rhythmische Low 60, das maßgeblich von den Drums bestimmt wird. Es erinnert mich vom Stil her an einige Stücke der ersten CD Alkoli, die die Band 2019 herausgebracht hat.
Tagtraum hat der Pianist Matthias Dymke komponiert. Klar, es beginnt mit einem langen Piano-Intro, fluide fließt der Traum dahin. Doch danach kommt die kalte Dusche von Alex: die letzten vier Takte müssen wiederholt werden.
Während des Aufnahme-Konzerts kontrolliert Wolfgang die Pegel der 19 Eingangskanäle der Mikros und hört mit Kopfhörer ab, ob alles sauber klingt. Er achtet auf das reibungslose Funktionieren der DAW und beobachtet, ob sich im Eifer des Gefechts ein Mikrofon oder ein Mikrostativ verstellt hat.
Weiter geht es mit dem abwechslungsreichen Scoly Moly. Beim TenorSax klingt es Bebop ähnlich, am Piano wirds dann bluesig, Alex führt das Stück mit einem für ihn typischen gesungenen Bass-Solo zum Ende.
Isolated hat Uwe in der Zeit des Lockdowns geschrieben. Dass dies auch für die Musiker sehr schwer war, hört man schon beim Bass-Intro heraus. Das Piano schließt sich recht melancholisch an, das TenorSax übernimmt mit einem sehr weichen tröstenden Sound und führt in ein Crescendo, das plötzlich ausklingt.
Die Aufnahmesituation wirkt sich auch auf das Publikum aus. Es applaudiert intensiv nach den Stücken, nach den Soli innerhalb der Stücke aber nur zögerlich. Man weiß ja nicht, ob das Solo wirklich zu Ende ist und will vielleicht nichts falsch machen.
In my mind haben Uwe und Milli Häuser zusammen geschrieben. Sehr lebendig im Motown-Stil, Upside down fiel mir dazu ein. Zum Schluss Surf It. Ein Stück von und für Uwe. Hier kann er u. a. bei einem langen Schlagzeugsolo zeigen, was er draufhat.
- When the music’s over ….
… wird im Song der Doors das Licht ausgemacht. Aber nicht hier, denn nach dem Konzert gibt’s noch viel zu tun. Erst wird beraten, ob etwas falsch gelaufen ist. Einige Zuhörer sind noch geblieben und warten gespannt darauf, wie es weitergeht. Dann werden Takte einiger Stücke neu eingespielt. Uwe erzählt mir hinterher, dass die Band vor dem Konzert überdurchschnittlich hohes Lampenfieber hatte, das aber spätestens nach dem ersten Stück verschwand.
Diese Konzert-Aufnahme ist eine große Herausforderung. Die CD wird zeigen, ob diese Aufnahmeform Zukunft hat. Das Publikum war jedenfalls begeistert. Bis zur Veröffentlichung ist aber noch allerhand zu tun. Wolfgang wird das Mischen übernehmen. Dabei muss man entscheiden, ob man die einzelnen Mikros oder den Raumklang hervorheben möchte. Zu klären ist auch, ob ähnlich wie beim Stereo-Effekt Instrumente beim Hören lokalisierbar sein sollen.
Das Mastern wird extern übernommen von jemandem, der die Aufnahmen noch nicht kennt und ‚die Ohren frei hat‘. Ein Cover muss entworfen werden, danach werden die CDs gebrannt. Das neue Album soll im nächsten Jahr erscheinen, Arbeitstitel N.I.P. Wir werden dann ausführlich berichten.
Das nächste Tatort Jazz Konzert findet statt
- mit dem Gastsolisten
Andreas Wahl
(git)
- am MI, 1.12. 20 Uhr im Kunstmuseum Bochum
Dieses Konzert wurde schon 2x verschoben, hoffen wir, dass es endlich stattfinden kann, diesmal mit 2D+ !!!