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„Turn left!“

Stefan Bauer und David Friedman

Recklinghausen, 21.12.2012
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Bernd Zimmermann

Die Schmiede ist prall gefüllt, mir gelingt es, einen vorderen Sitzplatz zu ergattern. Zum achten Mal gestaltet Stefan in unterschiedlicher Besetzung das Weihnachtskonzert in der Altstadtschmiede. Freunde, Bekannte, Familie, Musiker. Die Erwartung steigt. „Mallet pur“ – wie wird das klingen?

Ich will den Versuch wagen und das Unmögliche tun, Musik mit Worten zu beschreiben. Das Duo beginnt mit einer frei angelegten, aber rhythmisch durchstrukturierten Improvisation. Stefan am Marimbaphon, Friedman am Vibraphon. Letzterer natürlich der eigentliche Star des Abends, legt sofort ganz locker los und wartet schon in den ersten Takten mit seiner grandiosen Technik auf. Es ist spannend zu sehen, wie sich die Musik entwickelt. Spannung auch beim Publikum, der Schmiederaum ist rappelvoll. Und das darf man sagen, hierhin sind alle gekommen um ihren Star: „Stefan Bauer“ wieder in Recklinghausen zu erleben. Eltern und Verwandte, wie immer, in der ersten Reihe. Und dem Publikum wird einiges abverlangt. Zwei so ähnliche Instrumente könnten auf Dauer natürlich etwas eintönig klingen. Aber die Hörbereitschaft seitens der Zuschauer und die Freude über das musikalische „Wiedersehen“ in Stefans Heimatstadt trägt den Abend.

Die beiden Mallet-Virtuosen wechseln die Instrumente und spielen einen Standard. Wie heißt das Stück doch gleich? Da fällt es mir wieder ein ... Sunny Rollins: “Like Someone in Love“. Spätestens jetzt erleben wir einen Stefan Bauer, wie er Impulse von Friedman aufgreift, umspielt, weiterspinnt und neu gestaltet – völlig emanzipiert, kongenial.

Die Pausen zwischen den Musiken nutzt Stefan wie immer zu kleinen Plaudereien. Er erzählt wie und wann die beiden sich kennen lernten, dass sie ganz spontan zusammen spielen werden, nur wenige Absprachen getroffen haben. Das ist auch nicht nötig, die Eigenkompositionen bzw. die Standards, als Grundlage für die gemeinsamen Improvisationen, sind beiden bekannt. Auch Friedman kommt in den Pausen zu Wort. Er spricht ein akzentfreies Deutsch und weiß ebenso wie Stefan das Publikum zu unterhalten.

Als nächste Komposition wünscht sich Friedman ein Stück von sich: „Before the Rain“. Das Marimbaphon spielt zunächst die Begleitung, ist auf Grund seines größeren Tonumfangs im Bassbereich dafür auch prädestiniert. Die Akkorde werden in Viertel- bzw. Achtelketten vorgetragen, gebrochen, arpeggiert, manchmal mit einem sambaartigen Wechselbass versehen, und liefern so einen rhythmisch durchgehenden Klangteppich für den Themenvortrag auf dem Vibraphon. Die Improvisationen sind recht lang und die sich abwechselnden Solisten können ihr ganzes melodisches, rhythmisches und harmonisches Spektrum zu Gehör bringen. Dabei kommt es immer wieder zu polyrhythmischen Überlagerungen und Verzahnungen von Begleitung und Improvisation. Zuweilen ist man an die Minimalart eines Steve Reich erinnert. Erstaunlich auch die Vielfalt der musikalischen Artikulation und die abwechslungsreichen Soundeffekte. Das Vibrato des Vibraphons wird nur manuell eingesetzt, kommt so viel deutlicher zur Geltung. Hall und Dämpfung, Staccatospiel, ein leichter Druck mit dem Schlägelkopf und die Obertonreihe scheint sich zu verändern. Der Wechsel zu unterschiedlich harten Mallets (Schlägel) bestimmt ebenfalls den Klangcharakter.

Der erste (lange) Set endet mit einer Komposition von Stefan („Summer’s Embrace“) und Toots Thielemans’ „Bluesette“. Bei Stefans Stück war Friedman mit dem Ende noch nicht zufrieden, und er hat kein Problem damit, die Coda noch einmal einzuzählen um die Musik zu einem korrekten „Fine“ zu führen.

Nach einer geschwätzigen Pause, in der sich viele vieles sagen müssen, kommt auch Friedman in große Erzählerlaune. Das nächste Stück heißt „Turn left!“. Stefan meint, zu dem Stück könne Friedman bestimmt einiges erzählen. Ja, das könne er auch – aber nicht heute! Gelächter... Schließlich erzählt uns Friedman den ganzen Hintergrund von „Turn left!“ Sein Sohn habe beim Abbiegen während der Führerscheinprüfung eine Frau mit Hund übersehen. Kommentar des Fahrlehrers: Turn left! Und aussteigen! So entsteht also die Musik, die wir heute hören. Das Stück beginnt ... doch halt: Ist das nicht „Recordame“ von Joe Henderson (mit ihm hat Friedman schon gespielt) –­ oder ist es nur eine verblüffende Ähnlichkeit? Friedman trumpft im Uptempo auf, diese Musik liebt er, der Hardbob der 60er Jahre, hier spürt man seine Wurzeln. NY lässt grüßen.

... Jetzt wird es etwas experimenteller. Eine scheinbar freie Improvisation, in der beide versuchen das Unerwartete zu erfinden. Große Intervallsprünge, enge Toncluster, Glissandi durch das Hinübergleiten auf den Klangplatten. Da werden Klangflächen durch Punktklänge kontrastiert. Die Töne werden angeblasen, der Griff des Schlägels wird zum Tonerzeuger. Atonale klänge reiben sich mit Schönklang ... Alle sind gebannt von den unvorhergesehenen Klangmöglichkeiten beider Instrumente. Das Zusammenspiel ist intuitiv. Spielen, zuhören, erahnen, antworten, agieren, Kommunikation ohne Dur oder Moll. Friedman aber hat seinen Humor nicht verloren. Der Schalk in seinem Nacken hat ihm eingeflüstert das „Paten-Thema“ einfließen zu lassen... Auch in diesem freien Stück zeigen beide ihr Können, Friedman auch hier mit einer überzeugenden Perfektion, jeder Ton sitzt, nichts ist Zufall. Aber wirklich frei wird die Musik an diesem Abend natürlich nicht, und Vibraphonkollegen aus dem Freelager wie ein Gunter Hampel oder ein Bobby Naughton müssen für Friedman ein Schreckgespenst sein...

„Two Minds, one Thought“ (Friedman) – zu deutsch: 2 ..., 1 Gedanke – und Stefans lyrisch, romantische Komposition „Winterdays“ folgen. Das Publikum ist auch nach zwei Stunden Musik noch aufnahmebereit und fordert begeistert eine Zugabe. Auch wer „ Double Image“ aus den späten Siebzigern (Dave Friedman – Dave Samuels) schon gehört hat, wird diesem Duo seine Anerkennung nicht verwehren.

... Ein namenloser Blues ist noch zu hören ... Got my Mojo workin’ ... Zwei Vibraphonisten ... einer ein Weltstar, der andere ein deutscher, ein Recklinghäuser Star, der es geschafft hat, sein Musikerleben in NY zu realisieren, was schließlich kaum jemandem gelingt. Und hier beim klassischen 12-Bar-Blues mit zunächst drei Akkorden hören wir nochmals die Gemeinsamkeiten und Wesensunterschiede ganz deutlich. Beide glänzen in ihrer rhythmischen Sicherheit, dem melodischen Witz, den chromatischen Sequenzen und ihrem Blues-Feeling. Dennoch, der ältere, Absolvent der Julliard School, ganz und gar verwachsen mit seinem Instrument, jeder musikalische Pinselstrich exakt, ein „Murillio“ auf seinem Instrument, kein Fragender, sondern eine sichere personifizierte Antwort. Er nimmt sein Publikum spielend mit und entlässt es mit dem Gefühl einem klassischen Jazzkonzert beigewohnt zu haben. Auf der anderen Seite Stefan Bauer, immer noch ein Suchender, Neugieriger und poetischer und fantasievoller „Wanderer“ im Sinne Hesses, der bestimmt noch vieles entdecken und es uns wissen lassen wird. Spätestens, wenn im kommenden Jahr seine neue CD mit seiner Gruppe „Voyage“ erscheint. Ich freue mich schon. Und wenn Stefan im Flugzeug sitzt, er sich vielleicht zurück erinnert an die erste Begegnung mit David Friedman in Breukelen, dann darf er zufrieden sein über sein Spiel und sich freuen auf sein Zuhause im New Yorker Breukelen („Brooklyn“).

Ein Portrait von Stefan Bauer findest Du unter den news...

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