Bild für Beitrag: Tschechische Emotion | Die Clarinet Factory bei den Ruhrfestspielen
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Tschechische Emotion

Die Clarinet Factory bei den Ruhrfestspielen

Recklinghausen, 20.06.2024
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen offenbaren gerade in ihren Nebenreihen oft echte Entdeckungen – vor allem auch in musikalischer Hinsicht. Dazu gehörte bei der letzten Ausgabe des traditionsreichen Theaterfestivals vor allem der Clarinet Factory. Fünf sanftmütige Musiker aus Tschechien haben sich mit ihren Instrumenten eine eigene Welt geschaffen. Die Gruppe aus Prag spielt eine vielseitige Mischung aus klassischer Musik, Jazz, Crossover, Ethno, Minimalismus, elektronischer Musik und Soundtrack – aber jenseits irgendwelcher Stilschubladen ging es im Theaterzelt der Ruhrfestspiele vor allem mit ganz viel Seele zur Sache. Sie begrüßten ihr Publikum in einem herzlichen Tonfall, der sofort Nähe aufkommen ließ – und genauso fühlt sich die Musik 75 intensive Minuten lang an. Jindřich Pavliš, Luděk Boura, Vojtěch Nýdl und Petr “Pepino” Valášek vereinten ihre Instrumentenbeherrschung zum großen Ganzen. Um die hypnotische Suggestivkraft repetitiver Muster wissend, brachten sie die Sache erstmal mit einer Hommage an den Minimal-Music-Pionier Philip Glass in Fahrt. Das Ganze rockte auch phasenweise richtig, eben weil der Schlagzeuger Milam Cimfe mit elektronisch verstärktem Drumset involviert war und sich der Bassklarinettenspieler eben auch als „Bassist“ im echten Sinne verstand. Ergreifender wurde es im Zelt, je mehr die fünf sie ihre eigenen Songs voller Imagination und Tiefe ins Spiel brachten. Der Sänger hat eine wirklich Berge versetzende Stimme, was manchmal entfernt an Thom Yorke von Radiohead erinnert.

Der Reichtum nährt sich aus vielen Quellen

Aber der musikalische Reichtum der Clarinet Factory nährt sich aus ganz anderen Quellen: Aus der Heimat im osteuropäischen Nachbarland, vom Balkan, ebenso aus Portugal und Afrika. Folkloristisch wurde das Ganze nie, denn dafür entfaltete die Clarinet Factory auf der Zelt-Bühne eine viel zu innovative Klangwelt. Zwischendurch verschafften sich im Theaterzelt weitere "Mitspieler" Gehör: Abermillionen Regentropfen trommelten mit vehementer Wucht aufs Zeltdach. Die einfühlsamen Musiker gaben sich dieser Kulisse hin, improvisierten eine meditative Tonfolge dazu und werden aber immer leiser dabei, wo sich die Natur in dem Moment als die überlegene Macht erwies. Aber dann waren sie auch schon wieder voll da, mit pulsierenden, aufregenden Rhythmen, mit harmonisch aufregender, leidenschaftlicher Interaktion. Schließlich entführte eine Zugabe nach Afrika, und – noch eine Überraschung - auch der Bassklarinettist erwies sich als fabelhafter Sänger, diesmal mit betont „schwarzem“ Timbre. Dass Klarinetten durch ihren der menschlichen Stimme ähnlichen Tonumfang bestens für echten „Instrumentalgesang“ taugen, hatte wohl jeder nach diesem Konzert begriffen. Ein Kompliment geht an die Ruhrfestspiele, dass sie mit wachem Ohr in den europäischen Musikzenen unterwegs sind und solche - hierzulande bislang weitgehend unbekannte - Ausnahme-Bands entdeckbar machen.

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