Till Brönner im Doppel-Konzert
Perfektes Spiel in kleinster und größter Besetzung
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Nach seiner vielbeachteten Fotoausstellung Melting Pott im letzten Jahr über das Ruhrgebiet ist Multitalent Till Brönner wieder vor Ort, und zwar in seiner anderen Profession als Star-Trompeter. Als dieser sorgt er gleich an zwei Abenden für ein ausverkauftes Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum – in einer Besetzung und mit einem Programm, wie es unterschiedlicher nicht sein kann: im Duo mit Dieter Ilg am Kontrabass, am zweiten Abend zusammen mit seiner Band und den Bochumer Symphonikern (BoSys).
Till Brönner und Dieter Ilg brechen die übliche Rollenverteilung von Lead-Stimme und Bass-Begleitung auf, kommen in unüblicher Duo-Besetzung ohne Harmonie-Instrument aus, und – der Trompeter weist in der Anmoderation darauf hin: Man vermisst als Zuhörer wirklich keine Harmonien, als Duo geben die beiden Musiker eine konzeptionell überzeugende puristische Konzentration auf das melodisch-rhythmische „Material“, das sie mit Trompete bzw. Flügelhorn und Kontrabass eigensinnig interpretieren. Sie spielen fast ausschließlich Titel aus ihrer im letzten Jahr veröffentlichten CD Nightfall, sie speisen dabei ihr völlig gleichberechtigtes Spiel aus ganz verschiedenen Quellen. Der Konzertabend beginnt mit A Thousand Kisses Deep von Leonard Cohen in einer ausgesprochen entspannten Version, der Jerome Kern-Standard Nobody Else But Me wird in einem entspannt-gefälligen Bass-Flügelhorn-Duett präsentiert, wunderschöne Soli von beiden Musikern sind bei Titeln wie Nightfall, Eleanor Rigby und Body And Soul zu hören. Charlie Parkers Au Privave klingt – gemessen an der Original-Version - vielleicht allzu brav. Passend zum Beethoven-Jahr steht Ornette Colemans 5th of Beethoven auf dem Programm, was in herrlichem Unisono gespielt wird, aus dem sich phantasievolle Soli entwickeln. Scream & Shout ist mit Effekten überladen, man fragt sich, warum die beiden Musiker ihr eigentlich puristisches Konzept zugunsten eines allzu glatten technischen Zaubers (mit Nebelmaschine!) aufgeben. Ebenso bei dem balladesken A Distant Episode, das mit allzu viel Chorus und Delay unnötig aufgeplustert wird. Anders, experimenteller und damit spannender sind an dem Abend in Bochum zwei Interpretationen: Peng! Peng! beginnt und endet mit einem Trompeten-Schrei, der Bass liefert dazu ein Dauerbrodeln, das in ein Super-Solo übergeht. Bei Wetterstein nutzt Brönner die Trompete als Perkussionsinstrument, während der Bassist den Korpus seines Instruments mit feuchtem Finger traktiert und kinderstimmenähnliche Laute erzeugt. Beschwörend-konzentriert. Dies gilt auch in der Zugabe für das langsam-schwebende Kirchenlied (!) Ach, bleib mit deiner Gnade.
Nach diesem intimen feinsinnigen Dialog zweier Ausnahme-Jazzer ist der zweite Brönner-Abend der großen Besetzung gewidmet, der ganz großen, bestehend aus den Bochumer Symphonikern und der Till Brönner Band mit Jan Miserre (p,kb), Christian von Kaphengst (b), David Haynes (dr) und Magnus Lindgren (ts, fl), der neben seiner Solisten-Rolle auch für die Arrangements verantwortlich zeichnet und dazu auch noch die Musiker-Schar dirigiert. Und das soll aufgehen, ohne dass man mit triefender Streicher-Sauce den Jazz „nobilitiert“ und „salonfähig“ macht? Zugegeben, der Rezensent ist nicht frei von solcher Skepsis (und entsprechenden Erfahrungen) und fühlt sich zu Konzertbeginn darin auch ein wenig bestätigt. Der Einstieg in das Konzert ist in Teilen gefällig, der langsam-schwingende Wes Montgomery-Titel Bumpin‘ etwa oder die Filmmusik aus dem Agententhriller Die drei Tage des Condor oder die Titelmelodie aus Die Regenschirme von Cherbourg von Michel Legrand – das alles wird glatt auch ohne Berührungsängste gegenüber dem Seichten souverän heruntergespielt. Brönners Soli sind erwartungsgemäß überirdisch, das Zusammenspiel seiner Band, vor allem die Duette mit Magnus Lindren, die zurückhaltenden, immer präzisen Einsätze der BoSys – all das klingt perfekt, aber auch eine Spur zu beschaulich und „charming“. Das ändert sich vor der Pause mit dem brasilianischen Temperament von Aquelas Coisas Todas, das in einem fetzigen Dialog von Brönners Flügelhorn und Landgrens Flöte gipfelt, um am Schluss in ein Big Band-ähnliches Tutti mit den BoSys zu münden. Hier zeigt sich, was die zweite Konzerthälfte ausmacht: Die Arrangements von Magnus Lindgren und die Umsetzung durch die BoSys etwa bei Titeln wie Thermo oder Return To The Fold sind in der Dosierung von den Tutti-Anteilen und denen der Jazzer ausgesprochen differenziert und raffiniert, Bläser und Streicher erzeugen zusammen mit dem Quintett einen wunderbar homogenen Klang, der den Soli, vor allem den prägnanten, warmen Linien des Flügelhorns, der Trompete und des Tenorsaxophons einen passenden Entwicklungsraum gibt. Und natürlich der Brönner-Sound: Er entwickelt eine suggestive Kraft in der kleinsten und größten Besetzung. Bei aller Tendenz zur perfekten Gefälligkeit und zum gefälligen Perfektionismus ist Till Brönner mit seinem eleganten, coolen Sound und brillanten Ton ein Weltklasse-Trompeter, ein Meister der Phrasierung und der improvisatorischen Einfälle, der sein Publikum auch als Moderator zu überzeugen weiß. Dies bedankt sich begeistert mit stehenden Ovationen – bei beiden Konzerten.