Tief tönt es aus Münster
Jan Termath und Andreas Kaling
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Unter dem Titel ‚Deep and Low Down‘ gab es in Münster Außerordentliches zu bestaunen: Zwei Solo-Künstler jeweils auf ihrem Tief-Blasinstrument. Ist die Tuba mittlerweile als Solo-Instrument halbwegs „etabliert“, muss das Bass-Saxophon sich einen Platz als Einzelinstrument erst noch erarbeiten.
Wer den kleinen, aber feinen und rührigen Club ‚Cuba‘ in Münster am letzten Sonntag aufgesucht hat, wird mit einem ganz außergewöhnlichen Hör-Abend belohnt. Jan Termath eröffnet das Konzert mit seiner voluminösen Tuba. Eingekesselt ist der Vertreter der Neuen Musik von drei Notenständern, deren Funktion beim dritten Stück, der Uraufführung von ‚sur les ailes du temps VI‘ des Gegenwart-Komponisten Erik Janson deutlich wird: Jan Termath erklärt dies damit, dass der Komponist ihm zu jeder einzelnen Note eine Vielzahl von Anweisungen gibt, die einen Platzbedarf von zehn Notenseiten benötigten. Beim Hören ahnt man, was sich dahinter verbirgt, gelingt es Jan Termath, aus seinem in jeder Hinsicht sperrigen Instrument sehr ungewöhnliche Töne und ungwöhnlich reiche Klangwelten zu entlocken. Das Gleiche erreicht er in ‚Mirum für Tuba‘, einer Komposition von Mauricio Kagel aus dem Jahre 1965, bei der immer wieder kehrende Breaks den musikalischen Lauf unterbrechen und vom Tubisten durch laute Atmung bewusst als Pausen von unterschiedlicher Länge markiert werden. Auch in dem ‚Monolog für Tuba‘ (1978) von Tom Johnson lässt Jan Termath das Tuba-Spiel durch Sprache und Schreien unterbrechen und verweist so explizit auf die enge Verbindung von Tuba und ihrem Spieler.
Nach der Pause setzt Andreas Kaling mit seinem Bass-Saxophon, einem eher ungewöhnlichen Tieftöner und Ungetüm der Saxophon-Familie, an. In der Ankündigung weist Erhard Hirt vom Cuba Cultur – laut Eigenwerbung der „Heimat für Vielfältigkeit“ – darauf hin, dass Andreas Kaling ausschließlich mit Verstärkung, sonst aber ohne jegliche loop- und overdup-Tricks und elektronische Hilfen auskommt, was man beim Einstieg in die Performance von Andreas Kaling nicht für möglich hält. Da rumpelt und heult es, ein Beben, Klappern, Trommeln, ein Schnaufen, Stöhnen, Schmatzen, Zischen, Summen, Singen sind zu hören. Schließt man die Augen, vermeint man das Zusammenspiel von mindestens drei Instrumenten zu hören: Ein bassorientierter Groove, über den sich eine (Gesangs-?)Stimme legt, sogar eine Mehrstimmigkeit wird erzeugt, zusätzlich ein perkussiver Loop durch die Klappen, dann ein Kippen in ein Bassstakato oder in eine wunderschöne „saxophontypische“ ostinate Melodielinie. Andreas Kaling weist bewusst darauf hin, dass er „Pop-Musik“ produziere, in der Tat gelingt ihm mit einem King Crimson-Song, eigenen Stücken und – man kann es kaum glauben und noch weniger wiedererkennen – mit „Der Mond ist aufgegangen“ etwas ganz und gar Außergewöhnliches, das man einem Solo-Spiel, erst recht nicht mit einem solch voluminösen Instrument, in dieser schier endlosen Klangvielfalt nicht zumutet. Zwischen den geradezu unendlich scheinenden „langatmigen“ Grooves dank einer stupenden Zirkulartechnik gelingt Andreas Kaling ein virtuoses Funkeln, das man dem wuchtigen Tieftöner eher nicht zutraut. Musik und ihre Ankündigung sind vom einem eher zurückhaltenden (westfälischen?) Humor geprägt, der ein völlig exotisch anmutendes Instrument für eine hoch artifizielle bis skurille Spielweise öffnet und in höchst interessanter Weise Virtuosität mit Wucht und Ausdruckskraft zu kombinieren versteht. Das ist in der Tat eine grenzsprengende Performance.
Gemeinsam mit Jan Termaths eher der zeitgenössischen Musik zuzuordnendem Auftritt gelingt dem Cuba in Münster mit beiden Basshörnern eine äußerst spannende Mischung, die zeigt, dass die Zuordnung zu „Neuer Musik“ oder „improvisierter Musik“ oder zur „Pop-Musik“ völlig zweitrangig ist, wenn es sich nur in seiner grenzüberschreitenden Kraft um gute Musik handelt. Die Zugabe, in der Tuba und Bass-Saxophon aufeinander treffen, belegt dies treffend.
Ein wenig nachvollziehen kann man die Blaskunst von
Andreas Kaling
auf seiner aktuellen Solo-CD ‚As If There Was A Tomorrow‘. Ansonsten ist der Saxophonist übrigens ein Viertel des „weltweit einzigen“ Bass-Quartetts ‚Deep Schrott‘. Ob dieser Exklusivitätsanspruch wirklich so stimmt, entzieht sich meiner Kenntnis, das Quartett zu hören ist jedenfalls ebenso ein Erlebnis wie Kalings Solo-Auftritt.
Weitere Informationen:
www.andreas-kaling.de
www.ensemble-hoersinn.de/ensemble-hoersinn_mitglied_jan.htm