The Voices of Stadtbauraum
Heinrich von Kalnein, Sophie Min und Jim Hart bei FineArtJazz
TEXT: Peter Rytz | FOTO: Peter Rytz
The Voices of Stadt.bau.raum
Der Jazz liefert jeden Tag interessante Geschichten. Geschichten, die von Dialog und Improvisation erzählen – und manchmal von ihren alltäglichen, unkalkulierbaren Risiken. Seit 2012 in mehr als 250 Konzerten haben Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen, die Macher von Fine Art Jazz, manche Fährnisse gemeistert. Sie erinnern sich an minimal fünf kurzfristige Absagen. Das im Stadt.bau.raum in Gelsenkirchen angekündigte Konzert The Art of Duo fordert ihrem organisatorischen Improvisationsvermögen alles ab.
Als 4 Stars, 3 Acts, 1 Bühne programmatisch anspruchsvoll konzipiert, reduziert sich das Quartett - krankheitsbedingt müssen Karolina Strassmayer (sax) und David Friedman (vib) absagen - auf ein Duo. Heinrich von Kalnein (fl, sax) und seine Duo-Partnerin Sophie Min (p) halten die Stellung. Was tun, um dieses Konzert - in welcher Besetzung auch immer – für Bernd und Susanne sowie den treuen Fans von Fine Art Jazz zu retten? Wie es dazu kommt, erzählt eine weitere Jazz-Geschichte.
Heinrich von Kalnein lernt 2022 beim International Perth Jazz Festival in Australien die Pianistin Sophie Min kennen. Es funkt zwischen beiden musikalisch umstandslos. „Wir sollten eine CD aufnehmen. – Wann? – Morgen! – Da habe ich schon mein Rückflug-Ticket gebucht. Es bleiben immerhin vier Stunden für eine CD-Aufnahme! …Noch nie habe ich so entspannt eine Aufnahme gemacht“, erzählt von Kalnein mit einem verschmitzten Lächeln. Mit Jim Hart, der gerade in Österreich unterwegs ist, wo er selbst wohnt und eine Saxophon-Professur an der Musikhochschule Graz innehat, finden sie sich zu einem Trio.
Ein erstaunlich poetisch abgestimmter Sound
Tage später im Stadt.bau.raum so etwas wie eine Premiere. Je länger das Konzert andauert, umso erstaunlicher entwickelt sich ein poetisch abgestimmter Sound. Wenige Momente nur, wo sie sich ein wenig verlieren, um sich wieder zu finden. Min und von Kalnein eröffnen mit Interwined Trees, einem Stück von ihrer bei Natango Music veröffentlichen CD. Man konnte vor allem auf Min gespannt sein, die das erste Mal in Europa spielt und mehr oder weniger völlig unbekannt ist. Von Kalnein, für Zimmermann einer der besten Saxophonisten, spurt seit Jahrzehnten im Flöte-Saxophon-Jazz-Kosmos (Heinrich von Kalnein, A Night in Vienna © Natango Music 2021 vom 20.07.2021).
Min wird schon mit diesem ersten Set zur Entdeckung des Abends. Ihr Anschlag wird bestimmt von einer tiefenentspannten Temperierung. Unter ihren Händen fließt die Musik, die im Weiteren wesentlich von Kompositionen Harts – Early hours; The last of her - bestimmt ist. Sein energetisch aufgeladenes Vibraphon-Spiel verdichtet und lichtet sich zu Wellen, die von Min und von von Kalnein (Flöte und Alt-Flöte, Baritonsaxophon) aufgesogen und durchmischt werden.
Mit „Triangel“, einer Komposition von von Kalnein, entwickelt sich ein Konzert, das im Wechsel mit Soli (Min und von Kalnein) einem lyrisch feinsinnigen Trio-Spiel viel Gestaltungsraum gibt. Mit dem Stan-Getz-Standard „The Peacocks“ zelebrieren sie eine Hommage an einen der einflussreichsten Saxophonisten (Getz, 1929-1991) im Duo mit dem Pianisten Jimmie Rowles (1918-1996).
Mit Mins lyrischer Komposition „Western Sunsets“ flutet klangmalend ein magisch imaginierender Sonnenuntergang den Stadt.bau.raum. In nach Innen gewendeter Entrücktheit hat es den Anschein, als würden sich in diesem Moment Western Sunsets meditierend in einem Sound-Cluster versammeln. Min ist mit diesem Konzert auf dem besten Weg, auch in Europa ihr Publikum zu finden.