„The Art of Swing & More“
Ali Claudi Trio
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Reiner Skubowius
„The Art of Swing & More“ – much more, muss man sagen, denn was Ali Claudi mit seiner Band am 29. Juni drei Stunden lang (!) präsentierte war schon phänomenal, und zwar was die Zahl der Stücke, aber auch was die die Vielfalt der Stile angeht. Bei einem Vorgespräch erzählte Ali Claudi mir, dass er über ein Repertoire von ca. 1500 Stücken verfügt.
Aber welche wählt man da aus? Ali verriet mir, dass er für Konzerte nie einen festen Ablaufplan hat. Er berücksichtigt vorher die Faktoren Publikum und Location und notiert dazu auf einem Blatt ca. 40 Stücke. Welche davon in welcher Reihenfolge gespielt werden, hängt von den Reaktionen des Publikums ab. Es spielten Ali Claudi (elektro-akustische Gitarre, Gesang). Christian Schröder (Schlagzeug) und Hans-Günther Adam (E-Piano und Pedalbass) im Kulturrat in Bochum-Gerthe.
Ali freute sich über die Gelegenheit dort auftreten zu können. Im ersten Set stellte er eine Reihe unterschiedlicher Genres vor – vielleicht um die Reaktion des Publikums zu testenNun, das Publikum war schon relativ betagt und nicht sehr zahlreich, denn es war auch die ‚Nacht der Industriekultur‘. Die Band startete mit The Way you look tonight‚I Can See Clearly Now, Put it where you want it ‚ Chattanooga Choo Choo, aber auch La Mer von Charles Trenet passte gut ins Programm. Ray Charles war doppelt vertreten mit Hallelujah und dessen Hymne an sein Piano My Brother Grand, sehr nett kommentiert und bravourös interpretiert. Alle Stücke zu nennen würde eine Seite füllen, besonders gefallen hat mir Chega de Saudade. Dieser Klassiker des Bossa Nova wurde sehr gefühlvoll interpretiert mit Alis leichtem, in Wirklichkeit aber komplexen Gitarrenspiel in Kombination mit dem E-Piano und der dezenten Untermalung des Schlagzeugs. Dazu hätten auch vocals gut gepasst. Besonders interessant wurde es immer da, wo Stücke nicht in stilistischer Reinform, sondern in Kombination zweier Stile präsentiert wurden. So wurde Lullaby of Birdland erst in der Swing-Version gespielt, dann aber – wie Ali sagte – „300 Jahre zurückversetzt“ im Stil des Barock interpretiert. Jacques Loussier hat Bach ‚verjazzt‘, Ali Claudi ‚barockt‘ nun den Swing und zwar so erfolgreich, dass man den Übergang der Stile zunächst kaum bemerkt.
Den Höhepunkt des Abends bildete Jazzenco. Hier finden wir - wie der Name schon sagt - die Synthese von Jazz und Flamenco (bei YouTube abrufbar). Chano Dominguez hatte im Flamenco-Jazz bekannte Jazztitel, z.B. von Monk, verjazzt. Ali Claudis Band dreht den Spieß um und entwickelt ausgehend von einem ruhigen Flamenco-Thema eine rasante Jazz-Version. Das Motiv entwickelt sich mit sehr schnellen Gitarrenläufen und wirbelnden Bassläufen des Pianisten (mit nur einem Fuß auf den Pedalen), dazu ein passendes Drumsolo. Das Publikum war zu Recht begeistert. Das Stück erinnert in der Anlage vielleicht an Jim Hall‘s Version des ‚Concierto de Aranjuez‘. Dies gilt für die ruhigeren Stellen, insgesamt ist Ali mit seiner Gitarre aber viel schneller als Hall und erinnert eher an Charlie Christian oder Wes Montgomery.
Die Band ist sehr gut aufeinander eingespielt, Noten wurden nicht gebraucht und man könnte ebensogut im Dunkeln spielen (wäre auch mal eine Idee …). Dabei ist Ali Claudimit 77 Jahren sehr agil, er hat schon bei Kurt Edelhagen mitgespielt und verfügt über eine 60jährige Erfahrung als Gitarrist. Besonders hervorzuheben ist die Symbiose von Gitarre und E-Piano, die wohl auf jahrelangem Zusammenspiel, aber sicher auch auf dem gleichen Musikverständnis basiert. Hier wechseln Solopartien blitzschnell vom einen aufs andere Instrument, so dass man es kaum bemerkt. Und auch das backing passt sich jeweils sehr harmonisch dazu an. Die drums schaffen den rhythmischen Rahmen und bleiben bis auf einige Soli meist im Hintergrund. Was die Stimme angeht, würde der Band eine Sängerin gut tun, die in mancher Hinsicht noch mehr Farbe in die Band bringen würde. Phänomenal ist der Pedal-Bass von Hans-Günther Adam, auf dem er zusammen mit seinem E-Piano wie auf einer Kirchenorgel agiert. Nicht zufällig ist die Band auch für Konzerte in Kirchen gefragt, mit dem gleichen Programm! Zum Ende des Konzerts dominierte dann – back to the roots – wieder der R&B. Das Konzert war ein voller Erfolg. Am 31.10.2020 ist keine „Extraschicht“ und die Band kommt wieder in den Kulturrat, dann hoffentlich mit mehr Zuschauern, denn sie hat‘s verdient!