Tatort Jazz im Musikforum
Neuer Tat-Ort gibt lokalem Jazz zusätzlichen Auftrieb
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Mit Superlativen sollte man eher dosiert umgehen, aber die Jazz-Reihe Tatort Jazz (TOJ) in Bochum mit ihrer Mentorin Milli Häuser dürfte in der Tat als eine der bestbesuchten zumindest in NRW gelten. Das Rezept dafür lässt sich einfacher beschreiben als wahrscheinlich in der Praxis umsetzen: hervorragend aufeinander eingespielte Stamm-Musiker, gut funktionierendes Netzwerk von regionalen Musikern für die Gast-Solo-Auftritte, intensive Betreuung eines Publikums, das zu einem ausgesprochen treuen geworden ist. Als weiteres Erfolgselement kommt hinzu, was man mit der Formel „umsonst und drinnen“ umschreiben kann, wobei mit „drinnen“ wechselnde attraktive Orte wie das Kunstmuseum, das Planetarium, der Kulturbahnhof Langendreer, das Kulturzentrum Thealozzi in Bochum gemeint sind. Eine Premiere für einen neuen Tat-Ort für den Tatort Jazz ist zu vermelden: das Anneliese-Brost-Musikforum in Bochum. Das hochattraktive Haus für die Bochumer Symphoniker und die Musikschule öffnet sich dem Jazz. Als Türöffner fungiert die Musikschule, dessen umtriebiger Leiter, Manfred Grunenberg, seit Jahren mit Milli Häuser und Uwe Kellerhoff bei verschiedenen Jugend- und Flüchtlings-Projekten zusammenarbeitet und nun in einem Gemeinschaftsprojekt mit Unterstützung des Freundeskreises der Musikschule dem Tatort Jazz einen zusätzlichen Raum gibt.
Eröffnet wird der Abend mit der TOJ-Hausband, mit Matthias Dymke (Piano), Alex Morsey (Bass) und Uwe Kellerhoff (Drums) mit dem swingenden Standard Beautiful Love.
Nach nur einmaliger Probe kommen für die Premiere im neuen Musiktempel in Bochum hinzu: André Meisner am Altsaxophon, mit Ahmet Bektas (Oud) und Eddie Held zwei Lehrer der Musikschule, und für die Schlussphase im Oktett zusätzlich Milli Häuser (voc) und Bertram Frewer (Gitarre) – im Hauptberuf Stellvertretender Amtsleiter beim Bochumer Kulturbüro und ausgesprochen engagiert u.a. zuständig für die Förderung von Popularmusik und Jazz. Die Gast-Solisten bringen jeweils drei Titel ein, die im Quartett gespielt werden.
So beginnt der Reigen mit André Meisner, der v.a. bei der Wayne Shorter-Nummer House Of Jade einen ergreifend samtweichen Saxophon-Ton bläst und auch bei Elvins’s Song rhythmisch mitreißt. Die Abstimmung mit dem Oud-Spieler Ahmet Bektas verläuft zunächst etwas schleppend, in dessen dritter Eigenkomposition Sur findet das Quartett zu einem fetzigen Groove zusammen. Bemerkenswert ist – wie auch in der stilistischen Vielfalt während des gesamten Abends –, wie Alex Morsey das melodische und rhythmische Material auf seinem Bass variantenreich begleitet und mit unterschiedlichen Farben anreichert. Große Klasse! Das Lob trifft ebenfalls auf seine beiden Mitspieler zu.
Das zweite Set nach der Pause leitet Milli Häuser mit Good Morning Heartache mit expressiver Stimme ein. Es folgt der Auftritt des Trompeters Eddie Held mit der schwungvollen Nummer Recado Bossa Nova – brasilianisch der Rhythmus und zunehmend auch die Saaltemperatur. Auch bei den Folgestücken A Child Is Born und My Groove, Your Move erweist sich Eddie Held am Kornett und an der Trompete als spielfreudiger Blechbläser, der sich erkennbar durch die Hausband animiert und unterstützt fühlt.
Im Oktett geht auf der Bühne in den Arrangements von Alex Morsey noch einmal richtig die Post ab: Rikki Don’t Lose That Number wird von Bertram Frewer mit „rockiger“ Gitarre verantwortet, das türkische Traditional Sinanay weckt nicht nur bei Milli Häuser Tanzreflexe, die Zugabe Pick Up the Pieces setzt ein funkiges Schlusszeichen.
Ein rundum gelungener Abend in der Stilmischung von Swing, Modern und Brazil Jazz, Funk, Welt-Jazz und Pop.
Das Musikforum stellt sich bereits jetzt als Glücksfall für die Bochumer Kultur dar, weisen die Auslastungszahlen Dimensionen auf, die man von Wahlergebnissen zu DDR-Zeiten kennt. Von dieser Magnetwirkung profitiert auch Tatort Jazz: Der sog. Kleine Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt, der Bericht der Lokalpresse einen Tag vor dem Konzert sorgte für einen weiteren Ansturm von Interessenten, die leider wegen drohender Überfüllung vertröstet werden mussten. Die Frage, ob denn der große Saal des Musikforums als Alternative genutzt werden sollte, stellte sich erst einmal nicht. Ihn zu füllen, wäre offensichtlich bei der Publikumsresonanz von über 600 Interessenten von Tatort Jazz kein Problem, nur der familiär anmutende Veranstaltungscharakter mit direkter – auch musikalischer – Ansprache, mit Milli Häusers liebevoll arrangierter Atmosphäre änderte sich zugunsten eines Appeals à la Jazz at the Philharmonic. Das wäre – gerade im Zusammenspiel mit den Bochumer Symphonikern – ein anderer, sicherlich ebenfalls attraktiver Ansatz. Er bedürfte allerdings auch eines anderen Konzeptes. Die Premiere an dem Abend zeigt: Die räumlichen Gegebenheiten als Dispositiv für ein fruchtbares Zusammenwirken sind jedenfalls inspirierend und mitreißend - für die Macher und für das Publikum.