Tamara Lukasheva Quartett
im Bochumer Kulturrat e.V. in Gerthe
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Reiner Skubowius
Tamara Lukasheva ist aktuell der Shooting Star unter den Jazz-Sängerinnen. Zur Zeit ist sie dauernd unterwegs mit unterschiedlichen Programmen. Heute am 2. Oktober gastiert sie mit ihrem Quartett im Bochumer Kulturrat e.V. in Gerthe. Über ihre Biografie und die vielen Preise, die sie erhalten hat, ist schon viel geschrieben worden, auch bei nrwjazz.
- Groove hoch 3
Darum fangen wir mal mit dem Groove der Band an, der mich besonders beeindruckt hat. Jakob Kühnemann (Kontrabass), Dominik Mahnig (drums) und Simon Seidel (Piano) bilden den stark rhythmisierten Hintergrund zu den oft langsamen Gesangseinlagen. Tamara gibt ihrer Band oft die Möglichkeit als Trio zu agieren und zieht sich dann an den Rand der Bühne zurück. Mit langen Solo-Passagen legen die drei dann erst richtig los. Entweder begleiten zwei in traditioneller Form den Solisten, oder aber – und das finde ich hervorragend – sie solieren gleichzeitig, ohne dabei in ein unstrukturiertes ‚Rudel-Solo’ zu verfallen. Jakob Kühnemann spielt den Bass meist sehr hart, einmal benutzt er ihn als Schlaginstrument, das er mit dem Bogen bearbeitet. Dominik Mahnig könnte man fast ‚hyperaktiv’ nennen. Er ist kaum zu bremsen und bringt sich mit vielen Ideen, auch an kleinen Percussion-Elementen, seinen ‚Toys‘, ein. Simon Seidl spielt auch sehr rhythmisch, aber melodischer Er ist kurzfristig für Lucas Leidinger eingesprungen, aber – so das Kompliment von Tamara – „man merkt es nicht“. Oft nimmt er Vokalisen von Tamara auf und wiederholt sie im gegenseitigen Wechsel.
- Tamara
Tamara Lukasheva
spielt bei ihren Solo-Auftritten auch Klavier. Heute ist sie mit dem Singen voll ausgelastet. Ihre Stimme ist unbeschreiblich, voll und facettenreich. Dass sie schon einmal Opernsängerin war, merkt man, wenn sie lupenrein und mühelos zwischen komplizierten Harmonien wechselt. Vokalisen sind ihre Stärke und sie setzt sie fast durchgängig – für meinen Geschmack etwas zu oft – ein. Aber natürlich singt sie auch: russisch, englisch und deutsch. Manchmal flüstert sie oder geht in den Sprechgesang über, doch gesungene Texte sind heute eher die Ausnahme. Markant ist auch ihre Körpersprache. Sie begleitet sich selber mit Finger- und Arm-Bewegungen, zeitweise tanzt sie auf der Bühne.
Gegen Ende des Konzerts habe ich sie dabei ‚erwischt‘, elektronische Effekte zu imitieren. Wo andere Musiker sich mit dem Einsatz von Loopern zeitweise überflüssig machen, da dreht sie den Spieß um, simuliert elektronische Effekte mit ihrer Stimme und macht damit die Elektronik überflüssig!
- Die Songs
Überschrieben war dieses Konzert mit Homebridge, dem Titel ihrer vorletzten CD. Die Verträge mit Musikern wurden schon vor anderthalb Jahren geschlossen, die Konzerte dann aber wegen Corona verschoben. Inzwischen ist ihr neues Album Gleichung erschienen. Deshalb hat sie ihr Programm geändert, doch Stücke von ihren letzten CDs bekommt man diesmal kaum zu hören.
Ein ungewöhnlicher Beginn: Tamara haucht und bläst in ihr Mikro, aus den Luftgeräuschen entstehen allmählich Töne. Drummer und Pianist setzten vorsichtig Akzente und es entsteht nach und nach eine Melodie, die als Crescendo weitergeführt und dabei vom Bassisten mit Bogen-Schlägen auf sein Instrument begleitet wird. Coming Home heißt das Stück.
Manche Stücke sind relativ schnell, andere, die manchmal auf ein ukrainisches Volkslied gründen („das ist schwer wiederzuerkennen“), sind ruhiger im Gesang wie z. B. bei Namysto und Die Sonne ist schon unten. Sir Neptun und Venus hat sie ursprünglich mit Kölner Bigbands (WDR Bigband, Subway Jazz Orchestra) aufgenommen, im Rahmen des Quartetts kommt ihre Stimme noch mehr zur Geltung.
Tamara moderiert ansprechend und erklärt einige Titel; z. B., dass Dizzy Gillespies Groovin’ High auf der Akkordstruktur des Uroldies Whispering basiert und nur die Melodie geändert wurde. Ähnliches gilt für ihren Song Sub-consciously, der auf What Is This Thing Called Love von Lee Konitz zurückgeht. Aber sie komponiert auch selbst, Pod Mostami gibt sie als Kostprobe.
Die Zugabe Vogel Fly hat mir am besten gefallen wegen der Rhythmik, wegen der ausgeprägten Körpersprache, bei der der Körper selber zum Instrument wird, und auch wegen der größeren Nähe zum Jazz.
Die Musik von Tamara entzieht sich den gängigen Zuordnungen. Kann man ihre Stücke Songs nennen, wenn sie vor allem Vokalisen singt? Auf jeden Fall liegt sie eher bei 'beyond Jazz', Richtung 'Neue Musik'. Vielleicht werden wir in der Zukunft, wenn wir ähnliche Musik bei anderen Bands hören, sagen: Das klingt nach Tamara Lukasheva!