Sunday Jazz
Eine neue Reihe bereichert Ratingen
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Keine These ohne Antithese. Vielfach wird bei Jazz-Veranstaltungen ein Rückgang des Publikums beklagt. Aber es sind auch gegenteilige Entwicklungen zu beobachten.Eine erfreuliche Kooperation ist nun in Ratingen wahr geworden mit einer Jazzreihe am Sonntagvorabend im Medienzentrum, welches auch die Stadtbibliothek beheimatet. Die ersten Konzerte in diesem ersten Quartal waren gewissermaßen ein Probelauf, aber die gute Publikumsresonanz von jeweils bis über 100 Zuhörenden pro Konzert dürfte wohl den Fortbestand der jungen Reihe bis auf weiteres sichern. Alles steht und fällt mit idealistischen Menschen, die sich für die Sache einsetzen: Die Rede ist hier vor allem vom Schlagzeuger, Musikpädagogen und Festivalveranstalter Peter Baumgärtner, der in Ratingen schon länger als Lehrender an der dortigen Musikschule aktiv war und seine Kontakte zum Kulturamt mit Herzblut und Überzeugungskraft pflegt. Ein Besuch in Ratingen macht eindrücklich offenbar, welch reiche Früchte so ein guter Nährboden hervorbringen kann: Mit Stefan Bauer (Vibrafon und Marimba), Roman Babik (Hammondorgel) und Peter Baumgärtner (Schlagzeug) waren an diesem Sonntagvorabend drei Jazz-Vollprofis versammelt. Improvisiert wurde an diesem Nachmittag bereits bei der Logistik: Erstmal geht beim Soundcheck die Hammondorgel von Roman Babik buchstäblich in Rauch auf, respektive hatte wohl der Leslie-Lautsprecher eine empfindliche elektrische Störung. Aber zum Glück gibt es in Ratingen ja mit der Friedenskirche eine weitere ehrgeizige Jazz-Spielstätte. Die half spontan mit ihrem eigenem Equipment aus, sodass schon nach kurzer Zeit eine brandneue, virtuell-analoge Hammond-Orgel auf der Bühne stand.
Gemeinsam im kühnen Kosmos aufgehen...
Roman Babik ist also für diesen Gig der Tastenspieler in Stefan Bauers deutsch-kanadischem „Organic Earfoot Trio“. Normalerweise ist hier der Kanadier Bernie Serensky der Tastenmann, aber der muss nun auch nicht für jeden Gig ressourcenintensiv über den großen Teich fliegen - wenn hierzulande auch hervorragende Kapazitäten den Job mal adäquat machen können. Der besteht hier in der großen, ewigen Sprache des Jazz, die sich aus aufgeklärtem musikalischen Freigeist und traumhafter Instrumentenbeherrschung nährt. Behagliche Wohlfühltemperatur entsteht zu Beginn durch ein getragenes „My Favorite Things“ aus dem »Great American Songbook“ - beim ersten Thema kann man sich noch gar nicht vorstellen, was für einen kühnen Kosmos die drei Musiker daraus aufbauen. Denn diese verschlungene, erzählende Melodie geht eine Symbiose mit der Fantasie der drei Spieler ein – und wie. Dramatisch und hitzig sind Roman Babik s Improvisationen auf der Hammond, deren Klangpotenziale Babik bis zum Anschlag auszureizen weiß. Zum Glück läuft das neuwertige Instrument aus der Friedenskirche auch bei temperamentvollster Gangart nicht so schnell heiß. Lichtdurchflutet und mit Vitalität aufgeladen kommen die endlosen Deutungen von Stefan Bauers Vibrafon und Marimba daher. Denn der erweist sich nicht nur in seinen Anmoderationen, sondern noch mehr im Spielen als ungemein weitblickender „Jazz-Erzähler“. Derweil liefert Peter Baumgärtner die ganze Zeit mit seinem federleicht swingenden, luftigen Schlagzeugspiel immer im richtigen Moment an der richtigen Stelle das richtige Scharnier im Gefüge und den richtigen vorwärts treibenden Impuls liefert. Was eben diese Combo wie eine logisch in sich aufgehende Rechenaufgabe so abrundet, dass es physisches Wohlbefinden erzeugt. Hitziger geht es weiter in einer Blues-Nummer aus Bernie Seranskys Feder. Stefan Bauers elegisches „Lonely Moments“, vor circa 40 Jahren geschrieben, ist eine Momentaufnahme aus vergangenen Zeiten, die vielleicht auch mal nicht nur glückliche Momente hatte. Aber jetzt lassen die drei Musiker dieses Thema aus jeder Konnotation von einst frei, auf es in befreiter, exzessiver Fünfvierteltakt-Rhytmik wie in einer souverän gemeisterten Lebensspanne aufgeht. So, oder auch ganz anders, kann man versuchen, sich mit Worten anzunähern, wenn die instrumentalen Magie von gutemJazz die Fantasie in Fahrt bringt. Auch bei den vielen folgenden Nummern in den zwei langen Sets spürte das Ratinger Publikum so etwas intuitiv – und freut sich ganz bestimmt, bald wieder an diesem Ort zu sein.