Suggestives Klangfaszinosum
Christine Abdelbour und Pascal Battus
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Schon die Ankündigung lässt selbst den in der Improvisierten Musik Erfahrenen und vielleicht auch Unerschrockenen im wahrsten Sinne aufhorchen: Saxofon und „rotierende Oberflächen“ versprechen allein von der Besetzung her einen äußerst interessanten Abend im Rahmen der Ruhr-Triennale und ihres kleinen Programmangebots in dem Bereich von „Improvisation & Sound Art“. Der Auftritt von Christine Abdelnour am Altsax und Pascal Battus an eben den rotierenden Oberflächen im Maschinenhaus der Zeche Carl in Essen führt uns direkt in eine Welt neuer Hörerfahrung. Das libanesisch-französische Duo, das bereits seit 10 Jahren zusammenarbeitet, entführt uns mit seinen Klängen in eine wörtlich zu nehmende Klangwerkstatt: Der Experimentiertisch von Pascal Battus besteht aus allerlei Material und selbstgebauten Instrumenten, denen auf dem ersten Blick bis auf ein Becken nichts Musikalisches anhaftet. Elektromotoren, Alltagsgegenstände, Papier, Pappe, Holzstäbchen, Metallstücke, Plastikbecher sind das Material, mit dem Battus Klänge erzeugt. Durch diese fühlt sich der Zuhörer eher in ein Labor oder eine Praxis versetzt, wo geschliffen wird, wo Arbeitsgeräusche im Zusammenspiel oder –prall von unterschiedlichen Materialien entstehen. Das Ambiente einer ehemaligen Maschinenhalle darf somit getrost als kongenialer Kontext für dieses Konzert gesehen werden.
Zu Konzertbeginn traut man seinen Sinnen nicht, wenn man im oberen Frequenzspektrum Töne hört, die offensichtlich mit einem Blatt Papier (!) erzeugt werden, das an ein durch einen Motor angetriebenes rotierendes Rädchen gehalten wird. Dazu setzt das Alt-Saxofon von Christine Abdelnour an – eben nicht, wie man es von einem Saxofon erwartet, sondern ihr Instrument dient als Sound-Generator besonderer Art. Ihr Ansatz zielt nicht darauf ab, „konventionell“ auf dem Spektrum von zwölf Tönen Musik zu erzeugen, sondern sie setzt das Saxofon als Instrument für Klangerzeugung, als „Verstärker“ für das Hörbarmachen von Atem und entsprechenden Geräuschen ein. Ihr Konzept beschreibt sie treffend im Programmheft: „Ich erforsche die mikrotonalen Aspekte des Saxophons und seine höchsten Frequenzen, aber auch verschiedenste Blastechniken, die Hervorbringung von geräuschhaften Tönen ohne fixierte Tonhöhe, scharfe, schneidende Noten ebenso wie gehauchte, hallende Klänge. Meine Musik beschäftigt sich mit Perzeption, Zeit und Raum, jenseits jeder narrativen Effekte.“ Dies trifft zusammen mit der Soundtüftelei von Battus, der mit geradezu spielerisch naiv-kindlicher Entdeckerfreude an nicht-alltäglichen Alltagsgeräuschen nicht unbedingt in einen Dialog mit dem Saxofon tritt, aber gemeinsam mit diesem eine Klang-Collage und damit einen eigenen „schwingenden“ Klangkosmos erzeugt. Neben diesem wundersamen Sound-Gewebe verblüfft, dass hier – bis auf die Verstärkung – improvisierte Musik ohne den heute fast üblichen (Über-)Einsatz von Sample- und Sound-Technik praktiziert wird: Das Saxofon wird schlicht mit und ohne Mundstück geblasen, z.T. mit einer kleinen Plastikflasche im Schalltrichter, Pascal Battus setzt variantenreich die o.g. Alltagsgegenstände ein. Mehr braucht es nicht, um ein äußerst suggestives Klangfaszinosum zu schaffen. Selbst die im Rahmen des „Children’s Choice Awards“ anwesenden Schülerinnen und Schüler der Festivaljury bewiesen bei den für sie sicherlich völlig ungewohnten und häufig nur im Mikrobereich variierenden Klangmustern hohe Konzentration.