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Suche nach dem Reinem Ton

Charles Lloyd im domicil

Dortmund, 16.11.2016
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Peter E. Rytz

Musiker sind nicht unbedingt die besseren Menschen. Allerdings können die besseren von ihnen mit ihrer Musik einen Weg zeigen, wie man sich von allgegenwärtig dominanten, ökonomischen Selbstfesselungen distanzieren kann.

Charles Lloyd ist seit mehr als einem halben Jahrhundert immer noch auf der Suche nach dem einen, seinem Ton. Gestimmt auf Charles Lloyds World, ist jedes seiner Konzerte ein suchender Neubeginn, wo der Ton zur destillierten Essenz wird und eben diese Qualität der Reinheit spürbar ist, wie er im Programmheft der 23. Dortmunder Jazztage zitiert wird.

Eingebettet in langjährige musikalische Pausen, sucht der Musiker Lloyd als Meditationslehrer parallel zum reinen Klang die existentielle Reinheit des je eigenen Selbst. Entsprechend steht mit Charles Lloyd beim Konzert im domicil in Dortmund nicht nur eine phantastischer Musiker auf der Bühne, sondern eine charismatische Persönlichkeit.Man ist fast geneigt zu sagen, jenseits von Zeit und Raum, wo selbst sein Alter von 78 Jahren nicht mehr als nur ein Punkt auf der nach oben offenen Skala zu sein scheint.

Mit dem ersten Ton seines Saxophons öffnet sich ein himmlisch gestimmter Klangkosmos. Überirdisch harmonisch, eine Ode an die unendliche Schönheit des Lebens. Authentisch und ehrlich zugleich, hin und wieder auch pathetische Überhöhungen nicht scheuend, legt sich die Musik wie ein Zauberschleier auf die eine oder andere vom Alltags-Stress bedrückte Seele der Zuhörer.

Auf dem Kopf eine weiße wollene Zipfelmütze, die Augen hinter der dunkel getönten Brille geschlossen, das Saxophon in den Spielpausen auf seinem Schoß liebevoll zärtlich umschlossen haltend, wiegt sich Lloyd schamanisch anmutend in seinem Klanguniversum.

Neben Gerald Clayton am Klavier sitzend, wendet er sich ihm mit einem stillen Lächeln zu. Oder er geht zum Drummer Kendrick Scott, streicht ihm sanft wohlwollend über die Schultern. Bei seinem langjährig vertrauten Bassisten Reuben Rodgers reicht allein ein Wimpernschlag, um seine Zufriedenheit über den Sound auszudrücken.

Je länger das Konzert andauert, die Grooves sich mit einer unglaublich lyrischen und dialogischen Vitalität ins klanglich Mtaphysische steigern, umso mehr ergreifen sie auch Lloyds Körper. Rhythmisch zucken seine Armen, unterstreichen und verstärken Bass-Linien oder Klavierläufe: Breaks are changing.

Scheinbar versunken im Klang, den seine Mitspieler um ihn wie einen meditativen Kokon spinnen, bringt ihn im nächsten Moment ein einziger Ton mit größter selbstverständlicher Aufmerksamkeit zurück. Sein Saxophon spinnt den Sound des Quartetts zu einem Klangnetz weiter. Kaskadenartig perlen die Töne, verzahnen sich in improvisierten Hürdenläufen, dekonstruieren gefundene Strukturen, widerstreiten um musikalische Fallhöhen, um schließlich in einem gemeinsamen Flussbett, ob Wildbach oder Bächlein, auszufließen.

Lloyd kann sich auch in Dortmund auf exzellente Solisten und Quartett-Spieler verlassen. Dabei fasziniert immer wieder, wie er mit wechselnden Partnern seine musikalischen Expeditionen organisiert und mit der Überzeugung „nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ neue musikalische Kommunikationsformen kreiert.

Hatte er im Juni 2016 beim Jazzfest in Montreux seinem Exklusiv-QuartettJason Moran (p), Reuben Rodgers (b) und Eric Harland (dr)– zu großen Teilen die Bühne überlassen, fand er beim Jazzfest Berlin 2015 mitClayton, Moran und Harlandzusammen mitS okratis Sinopoulos an der griechischen Lyra sowie dem Cimbalon-Spieler Miklós Lukácseinen folkloristisch bestimmten Ton essenzieller Reinheit.

Wenn Lloyd der geborene Spiritus rector auch in dieser Quartett-Besetzung ist, zeigt er sich im domicil wieder einmal als der große Musiker ohne Ego-Shooting-Ambitionen. Er bietet jedem den Raum für eigene Ideen. Clayton mit zugespitzten Lippen, als wolle er jeden einzelnen Ton, bevor er aus dem Klavier entschwebt, vorkosten, macht Rodgers mit balladesken Motiven einen inspirierenden Aufschlag, das es den Anschein hat, als sei sein Körper mit dem Corpus des Basses verwachsen. Scott skandiert, dosiert auf der Skala von zart bis agressiv, die Basslinien und nuanciert sie empfindsam.

Am Ende des Konzerts scheint es, als entschwebten einige Zuhörer geradezu dem domicil.

15.11.16

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