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Stuttgarter Ausstellung ‚I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920’

Über das Wechselspiel von Klang-Farben und Farb-Tönen

Stuttgart, 04.02.2016
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Es gibt eher selten umfangreichere Ausstellungen zum Thema Jazz, in Erinnerung ist vielleicht die große und vielbeachtete That's Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts aus dem Jahre 1988 in Darmstadt mit einer umfangreichen Dokumentation der Jazzgeschichte oder die Wanderausstellung Free Jazz in der DDR. Weltniveau im Überwachungsstaat im Jahre 2014 (Siehe Besprechung in nrwjazz).

Im Kunstmuseum Stuttgart ist aktuell eine ausgesprochen sehens- (und hörens-)werte Sonderschau über die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen der bildenden Kunst und dem Jazz zu sehen. I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920 – kuratiert von der Museumsdirektorin Ulrike Groos, Sven Beckstette und Markus Müller – widmet sich auf drei Etagen einem spannenden Zusammenhang, der mit diesem thematischen Schwerpunkt und in dieser synästhetischen Präsentationsform zumindest in der Republik als einzigartig anzusehen ist.

Das Triptychon Großstadt von Otto Dix (1927/28) gehört zum Bestand des Kunstmuseums, der „Otto Dix Raum“ wurde 2005 bei der Eröffnung des Neubaus mit der bedeutenden Sammlung des Malers eingerichtet. Jetzt, zum 10-jährigen Jubiläum des Hauses, greifen die Museumsmacher diesen „Bestand“ sozusagen auf und zeigen, dass eine ganze Reihe von internationalen Künstlern sich auf den Jazz bezogen hat: auf seine Stars, auf Tanzstile, auf jazztypische Instrumente wie das Saxophon, auf Eleganz und Dekadenz, auf Rhythmus, auf Körperlichkeit und Erotik, auf Songtitel, auf ein Lebensgefühl. Dazu gehört der gemeinsame Wunsch aus beiden Kunstwelten, sich politisch etwa gegen Rassismus engagieren und Konventionen brechen und in avantgardistischer Absicht nach neuen ästhetischen Formen suchen zu wollen. Jazz war (und ist?) für viele Künstler musikalisches Lebens- und Begleitelixier bei ihrer künstlerischen Tätigkeit. Jackson Pollock beispielsweise malte exzessiv und hörte dabei in gleicher Weise Jazz. Nicht von ungefähr ziert das Gemälde White Light (1954) von ihm das programmatische Album Free Jazz von Ornette Coleman. Überhaupt zeigt die Ausstellung viele Beispiele von Jazz-Alben mit Covermotiven von Künstlern wie Ernie Barnes, Jean-Michel Basquiat, A.R. Penck, Michael Snow und Andy Warhol. Von letzterem ist in der Ausstellung nicht nur eine Vielzahl von diesen Entwürfen zu sehen, sondern ein Druck aus seiner Siebdruck-Serie Little Race Riot (1964) zum Thema der Rassendiskriminierung. Dieses wird Joe Overstreets Strange Fruit (1965) gegenübergestellt, einem der Beispiele in der Ausstellung, bei denen der Gemälde-Titel sich direkt auf einen Jazzsong oder ein Jazzstück bezieht.

Neben der prominenten Auswahl und intelligenten Hängung der Exponate, die an dieser Stelle auch nicht annähernd vollständig genannt werden können, liegen Stärke und Attraktivität der Ausstellung in einem konsequenten Einsatz von einem – kostenlos zur Verfügung gestellten – Medienguide. Zu vielen Exponaten werden nicht nur gut recherchierte und aufbereitete Informationen gegeben, sondern ein passendes Musikstück ist den jeweiligen Kunstwerken zugeordnet – wie etwa zu den beiden letztgenannten Beispielen Billie Holidays Strange Fruit oder Charles Mingus’ Original Faubus Fables (1969). Per Medienguide erhält man zusätzlich Informationen zu dem jeweilig präsentierten Musiker bzw. der Musik bzw. der Epoche. Wem dies als musikalische Unterstützung noch nicht reicht, hat bei den sog. Hörstationen Gelegenheit, komplette Alben zu hören. Über deren Repräsentativität für die Jazzhistorie mag man vielleicht streiten, aber es ist ein großes Verdienst von I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920, beide ästhetische Formen in ihren jeweiligen Entwicklungsetappen und ihren Wechselbeziehungen synästhetisch nachvollziehbar zu machen. Bei welcher Ausstellung hat man sonst schon einmal tanzende oder mitsummende, geradezu beschwingte Zuschauer erlebt?

Ein anderes Beispiel für die synästhetische Präsentationsform der Ausstellung: Das Cover des Albums Made in Germany von Klaus Doldinger zeigt die Reproduktion des abstrakten Gemäldes Ohne Titel (1956/57) der Schweizer Künstlerin und Inhaberin eines auf Jazz spezialisierten Plattenladens, Verena Loewensberg, das ebenfalls im Original präsentiert wird. Dazu kann man Klaus Doldingers Blues for George (1963) hören, das dem genannten Album entnommen ist. So erschließt sich durch das Hören die intendierte Abstraktionsleistung im Bild, das Gelb-, Orange- und Rottöne zu einem unregelmäßig gleichmäßigen Muster, zu einer Art visuellen Synkope, zusammenbringt. Ähnliches lässt sich bei den geometrisch-abstrakten Bildern wie von Piet Mondrian (Komposition Nr. II mit Rot, Blau, Schwarz und Gelb (1929)) oder Frank Stellas Hyena Stomp (1962) oder Manfred Mohrs B-flat (1968) ausmachen.

Als Einstieg in die Entwicklungsgeschichte von Kunst und Jazz wählten die Kuratoren das figürliche Bild Hot Jazz (1940) des eigentlich abstrakt-expressionistischen Künstlers Franz Kline. Mit diesem wird man in die neue Ära nach dem ersten Weltkrieg, in die Jazz-Ära, eingeführt. Die neue Tanzmusik der roaring twenties verheißt Freiheit, Ekstase und Rausch und beeinflusst die Künstler nachhaltig. Dix’ Großstadt-Triptychon im Entwurf ist zu sehen, Lotte B. Prechners Jazztänzerin (1929) oder Ernst Ludwig Kirchners Negertanz (1911). Die Faszination für die „Ikone der Moderne“, Josephine Baker, ist in einem Extra-Raum nachzuvollziehen: mit ihrer erotischen Wirkung, aber auch in als rassistisch und sexistisch überführten Rezeptionsformen. Neben einem Filmausschnitt mit der afroamerikanischen Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin sind u.a. zu sehen: Paul Colins Lithografienmappe Le tumulte noir (1929), die zwanzig Illustrationen Jazz (1947) von Henri Matisse bis hin zu feministischen Deutungen etwa im großformatigen Scherenschnitt von Kara Walkers Consume (1998) oder in den Werken von Marlene Dumas und Ditte Ejlerskov.

Ohne Kunstwerk sind zwei Solo-Nummern von Coleman Hawkins zu hören, die vom Titel her einen eindeutigen Bezug zur bildenden Kunst haben: Seine erste Solo-Improvisation trägt den Titel Picasso (1948), 1962 nennt er eine weitere Dali (1962). Saxophonist David Murray führt die Traditionslinie weiter und ehrt Picasso und Hawkins 1993 mit einer Picasso Suite.

Die Ausstellung zeigt weiter die parallelen Entwicklungen und gegenseitigen Beeinflussungen der beiden Kunstformen in Richtung Abstraktion und Politisierung. Jackson Pollock ist mit Reflection of the Big Dipper (1947) und Composition No. 16 (1948) vertreten, die Werke einer ganzen Reihe schwarzer Maler wie etwa Romare Bearden, Norman Lewis oder etwa Rose Piper werden gezeigt, die um ihre afroamerikanische Identität und um Gleichberechtigung kämpfen. Jean-Michel Basquiat ist mit drei Werken zu sehen, zu seinem Jazz (1986) ist der HipHop-Vorläufer Rammellzee vs. K-Rob: Beat Bop (1983) zu hören, den wiederum Basquiat produziert und für den er das Cover gestaltet hat.

Aktuelle Bezüge zwischen Kunst und Jazz stellen zwei Videoinstallationen dar: mit dem sechsstündigen Loop einer Dauerimprovisation über funkige Jazz-Rock-Grooves Luanda-Kinshasa (2013) von Stan Douglas und People to Be Resembling (2012), beides kluge Reflexionen über die Jazzgeschichte und ihre Einflüsse mit Hilfe von bewegten Bildern.

Den Abschluss des Ausstellungs-Parcours bildet die Rückkehr des Jazz zu populäreren Mustern von Tanzmusik in ihren Derivaten des Rhythm & Blue und Rock ‘n’ Roll, in der Ausstellung an den übergroßen Arbeiten von James Rosenquist (Big Bo, 1966), Peter Blakes Bo Diddley (1963) oder Andy Warhols Double Elvis (1964) demonstriert.

Die Ausstellung ist mit ihren insgesamt 140 Exponaten aus europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen eine ausgesprochen vielfältige und sinnlich ansprechende Schau zum Verhältnis von bildender Kunst und Jazz - ein Muss für den Jazz-Fan, weil er die starke ästhetische Funktion „seiner“ Musik als Impulsgeber und Katalysator für die Kunst nachempfinden und vielleicht auf heute übertragen kann, ein Muss für den Kunstfreund, weil man der bildenden Kunst - durch die Brille einer Musikrichtung betrachtet - neue Erkenntnis- und Erlebnisfacetten abgewinnen kann.

Bis zum 6. März hat man noch Gelegenheit zum Ausstellungsbesuch. Für diejenigen, die verhindert sind, gibt es zum Trost den umfangreichen Ausstellungskatalog. Vielleicht jedoch ist das Abschlussfestival am 5. und 6. März mit Peter Brötzmann, China Moses, Rüdiger Carl & Sven Åke Johansson, Alexander von Schlippenbach und der Rolf Kühn Unit ein unwiderstehlicher Anreiz für den Besuch einer außerordentlichen Bilder- und Ton-Schau mit einem „würdigen“ musikalischen Finale. Wir raten dringend dazu.

I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920. Kunstmuseum Stuttgart. 10.10.2015 – 06.03.2016

Der gleichnamige Ausstellungskatalog ist von Ulrike Groos, Sven Beckstette und Markus Müller herausgegeben und im Prestel-Verlag erschienen. Er kostet 35 € im Museum, 49,95 € im Buchhandel. Äußerst empfehlenswert!

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