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Strange Fruit als Abgesang

Laibach in der Christuskirche

Bochum, 25.10.2024
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
In der Christuskirche Bochum zelebrierte die slowenische Kultband Laibach bereits zum fünften Mal (!) ihre berühmt-berüchtigte Überwältigungsästhetik der Widersprüche. Darüber hinaus war es ein zum fünften Mal wiederkehrender Höhepunkt in der mutigen Programmgestaltung der Christuskirche unter Thomas Wessels künstlerischer Federführung, die immer wieder kulturelle Ausnahme-Erlebnisse mit beachtlicher Publikums-Resonanz hervor bringt. In diesem Fall sogar eines der besten Laibach-Konzerte von vielen innerhalb der letzten 30 (!) Jahre.
Laibach hieß das heutige Ljubljana, bevor es einst dem Vielvölkerstaat Jugoslawiens einverleibt wurde. Die Wurzeln des slowenischen Künstlerkollektivs, das weit mehr ist als nur eine seit fast 40 Jahren aktive progressive Band, lagen im politischen Widerstand gegen Titos Jugoslawien und kamen im deutschen Bandnamen zum Ausdruck. Daraus entstand das Fundament einer künstlerischen Strategie, die auch heute noch verstörend aktuell wirkt und der eine kolossale Bühnenshow in der Christuskirche eine hypnotisch wirkende Form verlieh.
Die einstigen Akte des Widerstands gegen autoritäre Staatsstrukturen haben sich bei Laibach zu einem komplexeren künstlerischen Kosmos entwickelt, der sich in den letzten Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit immer neue Themenfelder erschlossen hat und ironisch immer weiter seziert. Die aktuelle Opus-Dei-Show in der Christuskirche, der auch eine Remastered-Version des gleichnamigen Albums aus dem Jahr 1987 zugrunde liegt, wirkte wie ein starker "great reset".
Großen Raum gab der erste Teil der Show der vielschichtigen Avantgarde und Klangästhetik der Anfangszeit, mit ausgiebigen, epischen Instrumentalparts und Soundscapes - was allein diesen Abend schon zur großen Bereicherung machte. Erst im dritten Stück kam Sänger Milan Fras auf die Bühne; zu industriellem Schlagwerk erhob sich der Sprechgesang des frühen Stückes “4 Personen”. Das frühe Stück "4 Personen" im ersten Set zeigt, wie Laibach ihre Wurzeln in der avantgardistischen Musik beibehalten hat und warum sie in den 1980ern als Industrial-Band ihre Fangemeinde gewann. Aber die opulenten, weiterentwickelten Soundwelten, die sich transparent, druckvoll und laut genug in der Christuskirche entfalten, offenbaren auch in jedem Stück neu das ganze, viel weiter reichende musikalische Spektrum: Darin wohnt melancholische Tiefe, wagnerischer Bombast, Klangschichten von Heavy Metal-Riffs, elektronische Sequenzen auf der Höhe der Zeit – ja, natürlich auch immer wieder diese dunklen, schweren Beats, die sich als marschähnliche Rhythmen bedrängen, als direkte Anspielung auf totalitäre Ästhetik, als pulsierenden Herzschlag einer Überwältigungsmacht, die auch in Bochum vor dem hingebungsvollen Publikum auf Anhieb wirkte. Vor allem, was all jene erfreute, die viele Laibach-Stücke in- und auswendig kennen: Die Band ruht sich nicht darauf aus, die Stücke immer wieder komplett gleich zu spielen; alles in der Christuskirche wirkte neu gedacht, durch mächtige Instrumentalparts erweitert und atmosphärisch überhöht. Hier wurde ein Oeuvre im besten Sinne aufgeführt.

Erklärungen werden nicht geliefert 

Sänger Milan Fras verströmt verlässlich seine düstere Aura mit seiner charakteristischen Kopfhaube als Markenzeichen.Seine gutturale, grottentiefe Stimme erhebt er zunächst in slowenischer Sprache, aber das bleibt nicht so, denn Deutsch ist immer die Sprache der Wahl geworden für diese osteuropäische Band. Auch dieser Umstand gibt Raum zur Deutung. Erklärungen werden nicht geliefert.
Lange in dieser früh-avantgardistischen Diktion verweilend, taugt dies dazu, in der Christuskirche mächtige Atmosphäre zu erzeugen, vor allem, weil auch die Architektur des Raumes, einschließlich der beeindruckenden Dachkonstruktion, hervorragende Bedingungen für die mehrdimensionale Projektion bietet. Vor allem offenbart sich gerade in dem Frühwerk die ganze künstlerische Offenheit, die es eben nicht leicht macht, das slowenische Kunst- und eben auch Musikkollektiv in irgendeine Stilschublade einzuordnen. 
Zunehmend erheben sich die deutschsprachigen Nummern des Opus-Dei-Albums aus dem tosenden Klangozean, denn dieses frühe Kult-Album soll Thema sein. Viele Stücke, die aus diesem dunklen Sound-Kraftwerk entspringen, um die Christuskirche unter Hochspannung zu setzen, drehen sich um alles, was in der Welt die Geschicke lenkt; die Videos stellen noch unmissverständlicher klar, dass es um Herrschaftsideologien geht. Der zweite Teil in der Christuskirche machte das große Fass dann richtig weit auf. Gespenstisch brachte die Hymne "Geburt einer Nation", zu der seltsam uniformierte Pimpfe große Marschtrommeln schlagen, offen faschistische Ästhetik ins Spiel. Auch bei "Geburt einer Nation", dessen Original von der etablierten Band Queen kommt, handelt es sich um eine Uminterpretierung eines Pop-Songs. Später wird "Live is Life", einst ein harmloser Pop-Hit einer Band namens Opus, nun ins Deutsche übersetzt zu einer mehrteiligen rock-sinfonischen Suite mit martialischem Finale überführt, bei der die Sängerin, die in vielen Stücken den weiblichen Gegenpart von Milan Fras hatte, zur Höchstform auflief.

Es geht um den Urzustand

Wenn "Alle gegen alle", ein diesmal nicht ironisch gebrochenes Cover der Industrial-Band DAF, durch den Abschluss des ersten Sets durch die heiligen Hallen dröhnt, dann geht es da um nichts Geringeres als den "Urzustand" der Menschheit, wie ihn Thomas Hobbes' düstere Vision proklamiert hat? "Es gibt ein Leben vor dem Tod", dröhnt ein anderer Song von Opus Dei durch die Christuskirche – da dürfte Nietzsches Diesseits-Orientierung nicht weit sein, dessen Zarathustra die Band vor einigen Jahren mit einem abendfüllenden Programm und einem ganzen Album zu Leibe rückte.
Aber es blieb nicht immer nur dystopisch und tiefschwarz, wie es auch der bevorzugten Kleidungsfarbe im Publikum entsprach. Vor allem gegen Ende wurde es auf und über der Bühne purpurrot. Inmitten der ganzen wummernden und wabernden Dystopie sind regelrechte Kitsch-Explosionen strategisch auf den Punkt kalkuliert. Diesmal haben sie sich Foreigner's "I Don’t Know What Love Is", eine 80er-Jahre-Poserrock-Nummer, vorgenommen – um hier auch mal die ritualisierte Aura der Unnahbarkeit aufzubrechen und so etwas wie Interaktion mit dem Publikum zu inszenieren. Und ja, endlich verließen viele  die Kirchenbänke, um die Band und sich selbst zu feiern und tanzten auch etwas - während das multivisuelle Gesamtkunstwerk in der Christuskirche den Tanz mit Laibach doch eher außen vor gelassen hatte. Ob die Strichmännchen, die hoch über die Bühne projiziert wurden, kopulieren oder auf einer Mondrakete reiten oder beides zugleich, das war, wie alles, was diese Band so klanggewaltig und extrem geliefert hat, der Fantasie und Interpretation jeder Einzelnen überlassen.

Den planeten erschauern lassen

Mit zu viel Heile-Welt-Feeling würde Laibach sein hingebungsvolles Publikum nicht in die schnöde Welt da draußen entlassen wollen. Als finales, letztes Stück erhebt Milan Fras sein Organ noch einmal in extrem spröder, wie lebendig begraben wirkender Tonalität: In einer der wohl morbidesten und skizzenhaft bleibenden Versionen von Billie Holidays "Strange Fruit", die diesen Planeten je hat erschauern lassen. Und damit bekam ich auch – um etwaigen Leserbeschwerden zuvorzukommen – die finale Legitimation, in einem als  Jazzmagazin gegründetes Medium über ein Konzert einer der einflussreichsten Bands der letzten 30 Jahre zu schreiben. Danke, Laibach!
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