Start Jazzfest Bonn
Mit Tabatabai & David Klein Quartett versus Jazzkantine
TEXT: Vera Marzinski | FOTO: Lutz Voigtländer u. WPR Schnabel
Unterschiedlicher konnten die beiden Ensembles zur Eröffnung des Jazzfestes Bonn 2017 kaum sein. Die Sängerin, Schauspielerin und Komponistin Jasmin Tabatabei - gemeinsam mit dem Schweitzer David Klein und seinem Quartett - präsentierte Songs, mit viel Tiefgang. Mal ganz zart gesungen, wie das Titelstück ihrer neusten CD „Was sagt man zu den Menschen wenn man traurig ist?“, mal frech und sehr groovig, wie bei „Tamerlan“. Quer durch die Genres ging die Braunschweiger Jazz-Rap-Band „Jazzkantine“. Derzeit begeben sich die neun Musiker auf Zeitreise zu den Anfängen des Hip-Hop in die 1980er Jahre.
Das Jazzfest Bonn existiert seit 2010 und ist mittlerweile auch international sehr bekannt. Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan kam in Begleitung der stellvertretenden UN-Generalsekretärin Amina J. Mohamed und fungiert als Schirmherr der Veranstaltungsreihe. Er lud ein, Augen und Ohren für die Kunst der modernen Töne zu öffnen. Peter Materna , Künstlerischer Leiter des Jazzfest Bonn, schwärmte in seiner kurzen Begrüßung zum Auftakt, vom diesjährigen Programm: Jazz von Solo bis Big Band. 23 Konzerte an 12 Abenden in unterschiedlich großen Locations mit 150 bis ca. 1.000 Plätzen. Die Besonderheit des Jazzfest Bonn ist, dass zwei Gruppen an einem Abend miteinander kombiniert werden. So 2014 Nils Petter Molvaer und LeBangBang oder wie beim Eröffnungsabend 2017: Jasmin Tabatabai & David Klein Quartett im ersten Teil und nach der Pause die Braunschweiger Band „Jazzkantine“. Auch das führt zu Aha-Erlebnissen.
Für Überraschungen ist Jasmin Tabatabai gut. Sie ist ein Multitalent und eine Allrounderin und sagt „Singen ist wie Urlaub“. Sie entpuppte sich als Augenweide – im knallroten firgurbetonten Kleid – und Ohrenschmaus. Viele Balladen mit gefühlvoller Stimme. Vieles berührt, wie ihre Interpretation von „Wenn ein Mensch lebt“ aus dem Film „Die Legende von Paul und Paula“. Dazu ein wundervolles Saxophon-Intro von David Klein und gefühlvolle Untermalung von Olaf Polziehn am Flügel. Die beiden brillierten besonders in diesem ersten Teil des Auftaktabends – neben der Sängerin. Den perfekten Rhythmusteppich legten dazu Bassist Davide Petrocca und Peter Gall am Schlagzeug. Mit Klein zusammen entstand schon 2011 Tabatabais erstes Album "Eine Frau", für das sie von der Deutschen Phono-Akademie mit dem „Echo“ als „Beste nationale Sängerin“ ausgezeichnet wurde. Die beiden arbeiteten schon musikalisch für den Film "Gripsholm" zusammen, aus dem „Tamerlan“ stammt. Text von Tucholsky und Musik von David Klein. Es handelt von dem starken Mann nach dem alle schreien – „auch heute noch sehr aktuell das Thema“, kommentierte Tabatabai das Stück. Es ist fast das Schlusslied, nachdem die dreifache Mutter ihre Variante von Reinhard Mays „Aller guten Dinge sind drei“ und auch den bereits 20 Jahre alten Titel „Puppet on a String, den sie für den Film „bandits“ (hier stand sie mit Nicolette Krebitz und Katja Riemann vor der Kamera) geschrieben hatte. Stark sind auch die Soli der vier Musiker des Quartetts – insbesondere Polziehn, bei dem man hofft, er hört gar nicht mehr auf zu spielen. Und ganz zart kommt dann abschließend das persische Liebeslied von der Blume aus Stein rüber. Mit „Gole sangam“ schickten sie die Gäste in die Pause.
Richtig wild und mit fettem Sound ging anschließend die Party los - fast. „Jazzkantine“ mit ihrem unverwechselbaren Sound, der erstmals in Deutschland Elemente des Jazz und des HipHop miteinander verschmolz und auch keine Berührungsängste zu Soul & Funk kennt, als krasser Gegensatz zum ersten Teil des Abends. Ihre Musik ist was für die Ohren und die Beine. Allerdings im Forum Bonn mit tanzmäßig etwas verhaltenem Publikum - bis auf einige am Rand. Die Bestuhlung passte perfekt beim ersten Teil des Abends – im zweiten störte das eher bzw. hielt doch so Manchen zurück mitzutanzen. Dabei rappten und groovte die Jazzkantine bis der Arzt kam: Tachiles als Doktor, der sich aber den Kittel runter riss und „Babas Delight“ im Glitzer-Jackett rappte. Die Kernband um Produzent und Bassist Christian Eitner, Tom Bennecke (Gitarre), Andy Lindner (Drums), Stephan Grawe (Keys), Heiner Schmitz (Sax), Christian Winninghoff (Trompete) und den Rappern Cappuccino und Tachi sowie der Sängerin Nora Becker tritt auch gerne mit anderen Künstlern auf – diesmal kamen sie als geballte „Jazzkantine“-Ladung mit ihrer „Old’s cool“-Programm. Alle im selben Outfit. Capupuccinos Kommentar dazu:“Wenn da Jazz steht, warum kommen die mit Trainingsanzügen und dicker Goldkette auf die Bühne? Wir haben es geschafft!!“, schmunzelte er. Nicht im Sportdress und meist als Backroundsängerin dabei: Nora Becker. Die allerdings eine großartige Soulstimme hat und das Publikum mit „Pusher Girl“ in Sekunden von ihrem Können überzeugte, ebenso wie mit einem „Superstition“. Instrumental sind die „Jazzkantine“-Musiker alle stark – herausragend hier Saxophonist Schmitz und Trompeter Winninghoff. Am Ende standen dann doch alle Gäste im Forum bei „Get up – Geht ab“ und sangen eifrig mit. Ein sehr gelungener und abwechslungsreicher Jazzfest-Auftakt.