Stadtsinfonie
Surrogate City bei der Ruhrtriennale
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Wonge Bergmann für Ruhrtriennale
„Surrogate City“ heißt die große Stadtsinfonie von Heiner Goebbels, die bereits in verschiedenen Metropolen erklang. Da war es konsequent, dieses collagenhafte Monumentalwerk auch dem urbanenen Kosmos des Ruhrgebiets auf den Leib zu schreiben - in einer begeistert gefeierten Neuinszenierung der Ruhrtriennale.
Und wieder erlebt das faszinierte Publikum ein Ereignis, wie es nur an diesem Ort möglich ist, wo das spezifische Ambiente eines Industriedenkmals zum unverzichtbaren Mitakteur wird. Zwei Tribünen stehen sich gegenüber. In der Mitte der weitläufigen Fläche haben die Bochumer Sinfoniker Stellung bezogen. Der Raum dazwischen wird ausgefüllt von Menschen. Erwachsene, Kinder, verschiedene Nationen, Milieus, Styles. Surrogate City in dieser Neu-Inszenierung istvor allem eine positive soziale Großstadtvision. Den Löwenanteil der Choreografie bilden Kinder und Jugendliche. Das symbolisiert den Blick nach vorn und animiert dazu, von den Potenzialen von Kindern und deren lebendiger Kreativität zu lernen. Mit Kreide malen sie in rhythmischen Bewegungen die Leere aus, entfalten sich schöpferisch. Auch die Erwachsenen werden Teil dieser Tanz-Choreografie von Mathilde Monnier, die sämtliche Facetten sozialer Interaktion (inclusive Kampsporteinlagen) diesem Panorama einverleibt. Nichts bleibt im statischen Stehen, sondern harrt nur der fantasievollen Ausgestaltung.
Die sinfonische Musik, die Heiner Goebbels für dieses Unterfangen eingefallen ist, gibt alles in Bezug auf mitreißende, dynamische Energie mit einer guten Prise Cineastik: Heiner Goebbels zeigt sich einmal mehr als Schöpfer dunkel pulsierender Soundtracks. Voller moderner, sphärischer Klangwucht sind die Orchesterparts, aber es gibt auch immer motorische rote Fäden, die manchmal fast schon maschinenhaft treiben. Assoziationen an urbane-Geräuschwelten sind allgegenwärtig. Wir befinden uns ja auch in einer Kraftzentrale. Perkussionspieler schlagen mit schweren großen Ästen auf ihre Instrumente, dass es markerschütternd bebt. Ein Rockschlagzeug, aber auch der Einsatz von viel Elektronik legen auch regelmäßig die Wurzeln von Heiner Goebbels offen, der ja auch immer schon ganz viel mit Jazzrock-Avantgarde im Sinne hatte.
Die Songs, die in diesem orchestralen Panorama wirkungsvoll platziert sind, kommen von Joceyln B Smith, die mit druckvoller Soulstimme Song-Passagen aus früheren Goebbels-Kompositionen in Szene setzt. Und, was noch viel spektakulärer ist, von David Moss, der sich im eher wenig besetzten Segment zwischen „Jazzsänger“ und experimentierenden, manchmal sogar rappendem Vokalartist mit ungeheurer Präsenz austobt.
Trotzdem bleibt der hohe Anspruch, wie er aus den Begleittexten hervorgeht, nicht restlos und unmittelbar eingelöst: Die collagenhafte Vielschichtigkeit, wie wir sie sonst aus den hervorragenden Hörstücken des Heiner Goebbels kennen, die vielen literarischen Bezüge auf Heiner Müller und erschließen sich eher selten.
Aber dafür ist aus der Großstadtsinfonie in dieser Neuinszenierung ein dynamisch überaus vorwärtstreibendes Tanztheater geworden, eine soziologische Bewegungsstudie, die mit seinen 130 Laiendarstellerinnen und – darstellern aus der Mitte der Ruhrgebietsgesellschaft kommt. Diese Surrogate-City riskiert eben unbefangenen, leichten Blick nach vorn und das tut auch mal gut!
Wer den ästhetischen Rückblick sucht, die allgegenwärtig ästhetisierte Kulisse von Stahlwerk-Relikten und anderem, braucht ja nur nach der Vorstellung auf dem weitläufigen Gelände des Landschaftsparks mit offenen Augen und Ohren umherschweifen. Sehr geschickt werden hier ausgesucht die Tunnel, Durchgänge und Betonbunker am Rande der erkalteten Hochöfen mit Skulpturen, Klängen, Filmkunst und interaktiven Installationen bespielt.