Spoken Words und frische Ideen
20. JOE-Festival 2016
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Ein lauter Huster im Publikum wurde zufällig mit dem Loopgerät verewigt. Aber die Gesangsphrasen von Eva Pfitzenmeier haben im Essener Katakomben-Theater die Kraft, jedes akustische Ereignis mitzunehmen in einen Kosmos der befreiten Fantasie. Weite Räume gestaltet sie mit ihrer Stimme, die sich durch die Elektronik vervielfacht, verewigt und überhöht. Wie Fixsterne auf imaginären Umlaufbahnen wirken Wortfragmente und es ziehen fragile melodische Linien ihre sensiblen Bahnen oder pulsieren weiter als ostinate, nie mehr endende Begleitfiguren. Diese, in Norwegen lebende junge Künstlerin, weiß, was sie mit solchen Gestaltungsmitteln tut und will: Hinter der ganzen zerbrechlichen, manchmal spielzeug- aber auch zuweilen düster-rätselhaften Aura dieser Ein-Frau-Performance steht viel abgeklärte Reife und eine bestens ausformulierte künstlerische Sprache. Elektronikpop? Neue Musik? Vokalimprovisation? Spoken words Poetry? All dies fließt bei Eva Pfitzenmeier in unberechenbarer Verspieltheit zusammen, dass einem irgendwelche Schubladenbegriffe frühestens auf dem Nachhauseweg viel später einfallen. Mal singt sie den Blues zum gerade erst per Loop erzeugten Background-Chor, dann wieder gehen unterkühlte spoken words mit harschem Noise-Subbässen auf Tuchfühlung oder es kommen Spielzeuginstrumente zum Einsatz. Lyrisch getragen ist das, zuweilen auch beschwörend oder schneidend expressiv. Was so spielzeughaft begann entfaltet über ihren Auftritt im Katakomben-Theater eine beträchtliche Ausdrucksskala. Eva Pfitzenmeier gibt sich betont open minded, wenn sie so vieles einsaugt und ihrer eigenen Sprache beantwortet – etwa die Lyrik von Patti Smith, welche vor allem bei dem betont düsteren Zugabenstück Pate stand. Oder Darstellungsformen des zeitgenössischen Theaters, aber auch alten Jazz, Und auch beim visuellen Geschehen überlässt sie nichts dem Zufall: Abstrakte und konkrete Filmsequenzen erweitern den logischen Bezugsrahmen. So geht Kreativität auf der Bühne – bei der letztlich das unmittelbarste Organ, nämlich Eva Pfitzenmeiers Stimme, im Zentrum bleibt.
Während das Finale einem internationalen Topact gehörte, der im Falle des Duos aus Louis Sclavis und Vincent Courtois einmal wieder zuverlässig alle Erwartungen übertroff, zeigte sich auch die heimische Jazz-Szene in Bestform – und die wird beim JOE-Festival ja traditionsgemäß auch in guter Bandbreite präsentiert.
Aber auch NRWs Jazzer ließen auf dem JOE-Festival in Bestform von sich hören:
So hatte Filippa Gojo ein filigranes und sehr ausdrucksstarkes Quartett-Konzert hingelegt.
Dass der Bandnahme FC Fritsche nun gar nichts mit Fußball zu tun hat, stellte Simon Camatta in einer spielfreudigen, frischen Combo klar, denn der Saxofonist Felix Fritsche ist hier der Bandleader. Hochenergetisch trieb ein nicht selten breakbeatlastiges Schlagzeugspiel die treibenden, manchmal überkochenden, durchaus rockig eingefärbten Aktionen seiner Mitstreiter voran.
Bigbands sind Institutionen für sich: Sie sind Kaderschmiede für viele Solisten, denn das Spiel in solchen Großformationen verlangt Präzision und Disziplin. Und nirgendwo gibt es so viel konzentrierte, vereinigte Klangfülle zu erleben. Umso besser, wenn das Kölner Subway Jazz Orchestra dieses Format mit neuen, querdenkerischen Ideen füllt und dabei auch noch den geschmeidigen spielfreudigen musikalischen Fluss favorisiert. Von vielen der hier versammelten Mitmusiker, wird man wohl noch einiges hören in Zukunft!
Die kreative Vielfalt, das künstlerische Niveau der Ausführenden und der aufgeschlossene atmosphärische Rahmen, den auch wieder die 20. Festivalausgabe bot, verdiente eigentlich viel mehr Publikum - vor allem wenn man die Größe dieses Festival-Standortes, nämlich die Ruhrgebietsmetropole Essen in Betracht zieht. Jazz in Essen und anderswo braucht einfach mehr überregionale Publicity!