Sphärische Klangwelten ohne Kompromisse
„Five 38“ auf dem Nordsternturm
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
„Wir wünschen uns, dass die Hörer tief einsinken und sich forttragen lassen“ sagt Fanny Lasfargues, eine junge französische Bassistin, die eine halbakustische Bassgitarre spielt, die um eine fünfte, noch tiefere Saite erweitert hat. Ihre Partnerin Rafaelle Rinaudo spielt die modernisierte Version einer keltischen Harfe, wie sie ursprünglich aus einem folkloristischen Kontext der Bretagne entstammt. Aber auch dieses Instrument ist durch raffinierte Mikrofonie nebst einer Batterie von Effektgeräten dem ursprünglichen Kontext enthoben.
Dieses Duo ist anders, als vieles, was man sich vorstellt und kennt. Five 38 - so nennen sich die beiden - konterkariert Erwartungen, um neues entstehen zu lassen. Wenn die beiden ihre Klangwelten miteinander synchronisieren, setzen sie an einem sehr ursprünglichen Stadium an. Gesucht wird der ungezähmte, authentische Klang! Und diese Suche führt auch immer wieder Momente von zarter Poesie zutage. Da beide so viele Musiken aufgesogen und studiert haben, ist das Kaleidoskop der hierbei auflebenden Ideen immens. Schubladen werden nicht bedient. In Töne maximierender Sportlichkeit herumgejazzt wird auch nicht.
Also: Sich forttragen lassen, versinken. Das funktioniert an diesem Abend auf dem Nordsternturm allein wegen der äußeren Bedingungen des Moments. Die Abende sind jetzt lang und hell - und damit die Lichtstimmung in der Maschinenhalle auch ein stark wirkender Veränderungsprozess. Die späte Sonne durchströmt den Raum, bevor sie schließlich über dem Horizont des Ruhrgebietes versinkt. Gedämpfte Pastelltöne, die später blau, dann schwarz werden und man nur noch die Lichter der Großstadt sieht. Irgendwo steigt auch ein Feuerwerk auf. Und die Musikerinnen werden in wechselndes farbiges Licht getaucht.
Alle diese meditativen Wahrnehmungen werden durch das Spektrum an Klangfarben seitens „Five 38“ stark überhöht. Rätselhaft wirken die subtilen rhythmischen Muster, wenn Fanny Lasfargues mit Händen, Plektrum, Schlegeln oder auch mal einer Bürste die Saiten traktiert. Elektronische Loops sorgen für repetitiven Puls - während aus der komplexen Kette von Saiten, Tonabnehmern und Verstärkung allerhand mikrotonale Schwebungen und Schwingungen hervorgehen. Mystisch gellen die Töne aus der elektrifizierten Harfe von Rafaelle Rinaudo durch den Raum.
Wir spüren mehr, als dass wir hören, wofür Fanny Lasfargues fünfte Saite gut ist. Ambiente Subbässe, manchmal fast regelrechte Drones, schwärzen den Hintergrund. Assoziative Offenheit ist in jedem Moment alles! Aber es entstehen auch sehr empfindsame melodische Muster, die vielleicht auch mal an Steve Reichs Minimal Music denken lassen. Irgendwann erinnert ein besonders Harfen-Arpeggio von Raffaelle an afrikanische Highlife-Gitarrenmusik. Und dann sind natürlich ganz gewichtige Referenzen naheliegend: Die ausgiebigen sphärischen Klangfarbenmelodien lassen an experimentelle (Post-) Rockbands wie Sonic Youth, Mogwai oder Tortoise denken.
Die beiden wirken extrem versunken bei ihrem Tun. Man muss sich nicht beim Publikum anbiedern, wenn man dieses so kompromisslos in eine Klangwelt hineinzieht. Das alles wirkt beim Konzert auf dem Nordsternturm wie eine Art „work in Progress“. Will sagen, vieles könnte man hier noch weiterentwickeln, nichts ist schon völlig fertig und zu ende gedacht. Durchaus kommen auch mal Längen auf dabei.
Manches könnte vielleicht mal als Ursubstanz für größere Kontexte herhalten. Vielleicht für ein avantgardistisches Bandkonzuept über das reine Duo-Format hinaus? Man darf gespannt sein, was die beiden kreativen jungen Damen aus Paris und Marseille zukünftig noch mit ihren erstaunlichen Ressourcen anstellen werden!