Spazzacamini
Marc Brenkens Spiel erweckte die Bilderflut zum Leben
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper, Heinrich Brinkmöller-Becker
Nicht nur das Licht war dunkel im Bochumer Planetarium – auch im Publikum dominierte die Farbe Schwarz: Kein Wunder, wenn gleich 70 (!) Schornsteinfegerinnen und -feger in kompletter Kluft im Publikum sitzen. Denn diese ging das Thema der jüngsten 360-Grad-Projektion von Heinrich Brinkmöller-Becker ganz besonders an: Dokumentiert, nein bildgewaltig inszeniert wurde hier das weltweit einzigartige internationale Schornsteinfegertreffen, das im letzten September anlässlich seines 40-jährigen Bestehens fast 2000 Angehörige dieses Berufsstandes aus zahlreichen Ländern anlockte. Die Musik dazu wurde live improvisiert vom Essener Jazzpianisten Marc Brenken .
Ein rauschendes Fest im Tessin
Vom abgedunkelten Planetarium geht es geradewegs in den sonnigen Süden Oberitaliens. Zwischen dem funkelnden Lago Maggiore im Osten und den Gletschern des Wallis im Westen, liegt, eingebettet in ein stilles grünes Tal, der Ort Santa Maria Maggiore. Beim 40. Jubiläumsjahr des internationalen Schornsteinfeger-Treffens säumten rund 35.000 Zuschauer den Umzug von 1.800 Schornsteinfegern aus der ganzen Welt. Heinrich Brinkmöller-Becker hat die Dokumentarfotografie zu einem eigenen Kunstgenre entwickelt, indem er Bildsequenzen in die Planetariumskuppel projiziert – sozusagen als choreografische Weiterentwicklung der klassischen Überblend-Diashow. Eine wahre Bilderflut mit feiernden Menschen im Schornsteinfeger-Outfit ergoss sich aus der Planetariumskuppel. Hinzu kommt die Erzählerstimme von Joachim Hermann Luger. Es geht um Faszination für diese gelebte Handwerker-Tradition. Zur ernsten Sozialreportage wurde diese Doku immer dann, wenn es um die ernsten Aspekte in der Geschichte dieses Berufsstandes ging, in dem – allein wegen der einstigen Praxis, wo in die engen Kamine noch selbst reingekrochen wurde – Kinderarbeit eine traurige Tradition hat.
Die Bilder sind Partitur
Was hat das nun alles mit Jazz zu tun? Die beeindruckenden Projektionen von Heinrich Brinkmöller-Becker entfalteten ihr pralles Leben erst durch Marc Brenken s lebendige Jazzimprovisationen am Flügel. Die ganze Bewegung, Freude und Wärme bei solch einem Event bündelte sich in Brenkens durchgängig abwechslungsreichen Spielfluss. Kein Wunder, dass früher, vorm Siegeszug von Tonfilm und Breitwandsound in erster Linie Jazz die bevorzugte Filmmusik war. Man brauchte eben einfach nur vor der Leinwand ein Klavier und einen Pianisten, der es drauf hat. Und dieser Essener Pianist hat es allemal drauf, wenn er hier aus dem Schatz seiner eigenen melodischen Kompositionen und noch mehr aus seinem Gefühl für Groove und Swing schöpft, was schließlich in Klassikern wie Irving Berlins "Puttin on the Ritz und sogar dem 1970er Jahre Hit „Popcorn“ gipfelt. Derweil hat auch die Stimmung in Santa Maria Maggiore den Höhepunkt erreicht. Regelmäßig wandert Marcs Blick in die Kuppel, denn die Bildwechsel der Projektion bleiben letztlich die „Partitur“ fürs eigene Timing beim Improvisieren.
So etwas kann eigentlich nur ein erfahrener Stummfilmpianist leisten. Umso überraschter war ich, als Brenken mir hinterher sagte, bislang kaum solche Konzerte gespielt zu haben. Er ist hier einfach ins kalte Wasser gesprungen, hat sich drauf eingelassen. Da wird es Zeit, dieses Format weiter auszubauen! Es gibt so viele tolle Stummfilme, die nur darauf warten, mit Marc Brenken s swingender Piano-Artistik live „bespielt“ zu werden. Wie eben die Verbindung von improvisierter Livemusik mit visuellen Kunstformen immer das Potenzial von "audience developement" für Jazz in all seinen Spielarten hat.