Sparks & Visions
Entdeckerlust im historischen Regensburg
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Elmar Petzold
Eine Deutschland-Premiere bedeutet ja immer dass man das Projekt auf der Bühne eigentlich nicht kennen kann, so man es nicht schon irgendwo im Ausland gehört hat. Anastasia Wolkenstein hat bei der dritten Ausgabe ihres liebevoll kuratierten Festivals Sparks & Visions im wunderschönen Regensburg den Auftaktabend im über 200 Jahre alten Theater der Stadt gleich mal mit drei Deutschland-Premieren programmiert. Viel frische Klänge also und einiges zum entdecken.
Die griechische Vibrafonistin, Schlagwerkerin und Songschreiberin Evi Filippou spielte mit dem deutsch-rumänischen Kontrabassisten Robert Lucaciu schon beim letzten Sparks & Visions ein viel umjubeltes Duo-Konzert. Beide kamen jetzt zurück nach Regensburg mit Filippous Sextett inEvitable, mit der polnischen, aber auf Griechisch singenden Sängerin Zuza Jasinka, mit Gitarrist, Schlagzeuger und Saxofonist. Im Gepäck: Spannende Verquickungen von griechischer Folklore, Jazz und Improvisationsmusik, vor allem die Sängerin verzückte. Noch mehr trumpfte der Posaunist und Komponist Robinson Khoury auf, ein leuchtender Stern am aktuellen französischen Jazzhimmel, mit seinem Trioprojekt MŸA und vielschichtigen, nahöstlich verwurzelten, sphärischen Sounds. Seine Posaunenstöße setzte er in elektro-akustische Klangbilder, paarte diese immer wieder mit gesungenen, modulierten Vokalisen, Synthesizer- und Klavierklängen von Tastenmann Léo Jassef und der schillernden, elektrisierenden Rhythmuswelt von Perkussionistin Anissa Nehari.
Gesang in Paschtu, der Sprache ihres Vaters, poetische Balladen von Geige, sechssaitigem E-Bass und Schlagwerk gespielt, Jazz und die Seele Afghanistans miteinander verbunden, das alles zeichnete das Quartett von Simin Tander aus, der Kölner Sängerin, die zwischendurch auch kurz mal zeigte, was für eine außerordentliche improvisierende Vokalkünstlerin sie auch sein kann. So beseelt wie Tanders Konzert zumeist war, klang das Frauen-Quartett O.N.E. direkt danach nicht. Polens erstes ausschließlich weiblich besetztes Jazzquartett in der Besetzung Saxofon, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug setzte auch andere Schwerpunkte, nämlich freien Jazz im Kollektiv ideenreich und frisch zu spielen und ohne „frei“ mit wilder Beliebigkeit und Dissonanz zu verwechseln.
Wie Zusammenspiel dann irgendwann total perfektioniert klingt, zeigte zum Festivalabschluss das Marcin Wasilewski Trio. Seit 31 Jahren nun spielt der polnische Pianist schon mit seinen beiden Landsleuten Slawomir Kurkiewicz am Kontrabass und Michal Miskiewicz am Schlagzeug zusammen, was man dem traumhaften Zusammenspiel des Trios in jedem Moment anhört. Was für einen gemeinsamen kreativen Flow haben die Drei über die Jahre entwickelt! Ja, die Musik ist total ausgecheckt, eigene Stücke und je eine Komposition von Herbie Hancock und Krzysztof Komeda boten in Regensburg keine Überraschungen, dafür aber eine wunderschöne Melodie nach der anderen und große Handwerkskunst.
Anastastia Wolkenstein hat mit Sparks & Visions ein abwechslungreiches, dreitägiges Jazzevent für Regensburg geschaffen, bei dem vieles zu sehen war. Etwa mit corto.alto fünf Schotten um den Posaunisten und Multiinstrumentalisten Liam Shortall, die dem Sturm über dem britischen Königsreich trotzten und aus Glasgow anreisten, um am Samstagabend mit ihren hippen, groovenden Klängen den Theatersaal zum coolen Club zu machen. Oder wo sich am Sonntagmorgen mit dem North Sea String Quartett ein in Amsterdam beheimatetes, international besetztes Streichquartett nicht um Konventionen scherte, sondern mit Beatstrukturen und perkussiven Techniken arbeitete und mit großer stilistischer Vielfalt in ihrer zeitgenössischen Musik das ohnehin sehr enthusiastische Regensburger Publikum total verzückte.