Bild für Beitrag: Space Odyssee |  Chorwerk-Ruhr traf auf  Shiva Feshareki
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Space Odyssee

Chorwerk-Ruhr traf auf Shiva Feshareki

Gelsenkirchen, 20.02.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Christian Palm

Musik aus der Gegenwart irritiert, verschiebt Grenzen, kippt Konventionen. Im expressionistischen Halbrund der Heilig-Kreuz-Kirche Gelsenkirchen und einen Abend später in Dortmunds Reinoldikirche entfaltete sich eine hoch kreative künstlerische Liaison zwischen der vokalen Exzellenz beim Chorwerk Ruhr und dem elektronischen Arsenal der britisch-iranischen Musikerin Shiva Feshareki – beides zusammen verwandelte auf Basis zeitgenössischer slowenischer Vokalmusik den Raum in ein akustisch-architektonisches, improvisiertes Mysterium.

Wie aufregend ist doch immer wieder die slowenische Musik mit ihrer einzigartigen Verschmelzung östlicher und westlicher Traditionen – und das hat auch historische Gründe: Die Annäherung der slowenischen Komponisten an die Entwicklung der modernen Musik Westeuropas ab den späten 1950er Jahren ließ aufregende Mischungen entstehen und das war auch historisch bedeutsam für die Wiedererlangung einer kulturellen Eigenständigkeit dieses südosteuropäischen Landes. In dieser Hinsicht erwies es sich als Glücksfall, dass für diese Aufführungen die slowenische Dirigentin Martina Batić zur Verfügung stand. Sie schwor die Sängerinnen und Sänger des Chorwerk Ruhr in mehreren Kompositionen ihrer Landsleute Uroš Krek und Nana Forte vom ersten Ton an auf eine sensible, tiefblickende Musizierhaltung ein. Und ja - man konnte einfach nur staunen, mit welch beeindruckender Intonationsreinheit die komplexen harmonischen Strukturen durchdrungen wurden, voller polytonaler Reibungen, getragen von Chromatik oder Parallelbewegungen von Quarten und Quinten und so manchem mehr, was die westliche Harmonielehre nun mal „verbietet" und was daher auf Anhieb nach Freiheit, aber auch überirdischer Dimension klingt.

Archäologische Sensibilität

Dann intervenierte Shiva Feshareki – und dies gleich zweimal mit den beiden Parts ihres Auftragswerkes „My tears become my breath", mit dem sie auf die vorherige Chormusik improvisatorisch reagierte. Sie wurde damit zum integralen Element eines erweiterten Klangkörpers, weil sie eben auch in den Gesang tief hinein hörte. Mit archäologischer Sensibilität griff sie die vokalen Fragmente auf und unterzog sie einer raffinierten Verwandlungskunst. Ihr Hauptwerkzeug ist das Roland RE-201 „Space Echo“ – jener ikonische Effektprozessor von 1974, der ursprünglich noch mit mechanischen Tonbandschleifen in seinem Inneren arbeitete und der für viele Popmusikproduktionen von Genesis bis Portishead einen klanglichen Background lieferte.

In der Heilig Kreuz Kirche wurde diese ikonische Wunderkiste zum Werkzeug einer spirituellen Vokalklangmanipulation. Die menschlichen Stimmen des Chorwerks Ruhr werden zerschnipselt und durchlaufen, mal rasend schnell hochgepitcht oder in Zeitlupe abgebremst, eine breite Palette an Echoeffekten – von subtilen, kurzen Nachklängen, die den Chorklang räumlich erweiterten, bis hin zu komplexen, sich wiederholenden Strukturen, aus denen neue, bizarre Texturen entstehen, wo aber auch der Vokalklang durch groteske Frequenzmodulationen (auch LFO-Kurven genannt) aberwitzige Mutationen entstehen lässt. Shiva Feshareki hat sich vor allem auch dem Turntablism verschrieben, jener Kunstform der Dekonstruktion, die aus der Hip-Hop-Kultur kommend, musikalisches Material zerlegte, auf dass sich die Textur verselbständige. Auch hier, an diesem Abend rotiert eine Platte auf einem Teller. Sie lässt phasenweise süßliche Streicherklänge aus irgendeiner sinfonischen Aufnahme funklen, irgendwie wie Fixstern aus ferner Galaxie. Ganz aus dem Heute des technisch Machbaren kam derweil die Dolby-Surround-Klangprojektion, die diese sinnliche Space-Odyssee wirkungsvoll im ganzen Kirchenraum ausbreitete.

Synästhetisches Gesamtkunstwerk

Das alles wirkte live und in Echtzeit gar nicht so effekthascherisch wie es sich hier liest, sondern vereinte sich zu einem unspektakulär-meditativen Sog, bei dem schließlich das Chorwerk Ruhr mit dem Uroš Kreks Psalm wieder ganz a-cappella das Schlusswort hatte. Was sich wiederum als Stärke dieser 75 Minuten erwies: Die Heilig-Kreuz-Kirche schien selbst zu atmen und ihre geometrischen Muster im Rhythmus der Musik zu pulsieren, so, als hätte sich die Architektur in einen resonierenden Organismus verwandelt. Diese, heute säkularisierte Kirche im Arbeiter-Stadtviertel Gelsenkirchen-Ueckendorf ist ein Prunkstück des Backsteinexpressionismus im Ruhrgebiet und kommt in ihrer futuristischen Aura locker an ein Setting aus einem Fritz-Lang-Film heran. 1927 von dem bekannten (Kirchen)Baumeister Josef Franke entworfen und zwischen 2018 bis 2021 zu einer Spielstätte ertüchtigt, dominiert eine Parabel die gestalterische Grundform. Dieser Abend, den das Chorwerk Ruhr ausrichtete, unterstrich eindrucksvoll, wie essentiell unkonventionelle Spielstätten für neue künstlerische Ausdrucksformen sind. Das gilt besonders im Ruhrgebiet mit seinem reichen Bestand an „transformativen“ Räumen.



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