Soziale Erfahrungen machen stark
Mixed Musical Arts Festival
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Florian Walter hat viel dazu beigetragen, dass sich freie Musik an überraschenden Locations im öffentlichen Raum ausbreiten durfte - allein schon durch die legendäre Trinkhallentour, der mittlerweile schon andere Projekte gefolgt sind. Aktuell hat er das „Mixed Musical Arts Festival“ ins Leben gerufen – die erste Ausgabe hatte gerade noch das Glück, nicht vom behördlichen Shutdown verschluckt zu werden. Fazit: Reale physische Begegnung bei Musik sind durch nichts zu ersetzen.
Als intime Location wurde die „Werkstatt für Selbstverteidigung“ in einem ehemaligen Ladenlokal in Essen-Holsterhausen gewählt. Der behagliche Raum ist angefüllt mit vielen kultivierten Dingen, der daduch gar nicht wie ein Ort für das Einüben von „Kampfhandlungen“ anmutet. Aber darum geht es ja hier auch nicht. Andreas Schendel, Gründer der Werkstatt und zugleich Schriftteller, verfolgt an diesem Ort ein tiefer ergehendes, idealistisches Anliegen: Menschen jenseits von Geschlechts- und Kulturenunterschieden innerlich stark zu machen, darum geht es. Und so ähnlich sollten die sozialen Erfahrungen der Improvisationskonzerte an diesem Ort wirken.
„Hilde“ nennt sich ein umtriebiges Quartett, das gerade an vielen Orten auftritt, sich gerne und beständig neu erfindet mit seinen sensiblen kammermusikalischen Interaktionen auf Posaune, Streichinstrumenten plus Stimme. Die subtilen Energiefelder, die diese akustische Kunst verströmt, schwingen unmittelbar vom versunken lauschenden Publikum zurück. Die Zuhörenden umringen die Musikerinnen, weit verteilt auf dem Boden, auf Kissen, ein meditierendes Ganzes bildend.
Melodiefragmente, vereinzelt eine metrische, perkussive Struktur aus der Posaune von Maria Trautmann , spektrale Überlagerungen aus Flagoletts und Obertönen von Cello (Emily Wittbrodt) Violine ( Julia Brüssel ) und auch die Stimme von Marie Daniels werden zu gleichberechtigten Instrument im freien assoziativen Flow. Es ist Suchen und Hineintasten, ein Aufnehmen und Hineingeben, alle Teilnehmerinnen gehen dabei in einem höheren Konsens auf. Texturen erobern den Raum, wirken wie eine suggestive Ordnung und Sogkraft – und mittendrin erobert auch mal ein Song-Fragment den Raum, um das sinnliche Ganze zu komplettieren. Berührende lyrische Momente wirken gerade dann besonders intensiv, wenn sie das überraschende Resultat eines freien Austauschs sind.
Sowohl die Band Hilde, als auch das Trio „Ephemeral Fragments“ sind keine Ad-hoc-Begegnungen, - was hör und spürbar ist - es liegen Konzepte, gewachsene Koordinatensysteme zu Grunde. Florian Walter , Emily Wittbrodt und der Elektronik-Künstler Korhan Erhel kamen im Büro für akustische Innenraumpflege zusammen, einer anderen noch jungen Begegnungsstätte für freie Klänge jenseits festgelegter musikalischer Formen. Hier nun lebt eine Art „work in progress“, wie in einem mächtigen Trialog Zustände erzeugt und verdichtet werden. Diese füllen den Raum zuweilen mit brachialer Klangwucht, für die vor allem Florian Walter s Tubax mit seinen abgrundtiefen Tonkaskaden verantwortlich zeichnet. Fantasievoll erzeugt Korhan Erhel dazu seine virtuellen Geräuscheffekte, Emily Wittbrodt lotet auf den Cellosaiten Obertonspektren aus und setzt nicht nur in Pizzicato-Glissandi aufregende Klangimpulse. All das erzeugt eine Art expressiven Aufruhr, der trotz aller Ecken, Kanten und Ambivalenzen völlig herrschaftsfrei wirkt. Und das passt zur Philsophie, die in diesem Raum herrschen soll – denn wo Menschen Selbstverteidigung erlernen sollen, geht es auch immer um das mutige Abschütteln von Fremdherrschaft . „Bewusst lade ich MusikerInnen ein, die solche Prinzipien in ihrer Musik“ betont daher auch Andreas Schendel im Gespräch.
Währenddessen haben die armenischen Duduk-Spieler vom Ensemble „Arevot Blri Duduk Hamuyt“ und ihr deutscher Gastgeber André Meisner im Publikum Platz genommen. Ihnen sollte das Finale dieser exklusiven Veranstaltung gehören. Am folgenden Vormittag beschlossen die Armenier ihre Tour durch NRW mit einem tief berührenden Konzert in einer Moerser Kirche. Darüber wird in einer separaten Review zu berichten sein.