Soundtrips NRW zum 25.
Funktionierendes Netzwerk mit Sternstunden der improvisierten Musik
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Die der improvisierten Musik verpflichtete Reihe ‚Soundtrips NRW’ feiert nach sechs Jahren ihre 25. Runde. Das NRW-Netzwerk mit ausgesprochen spannenden Auftritten in immer verschiedenen Besetzungen mit „Anker“-MusikerInnen aus den beteiligten elf Städten ist immer eine ausgesprochen interessante Adresse für Freunde von musikalischen Neuentdeckungen und entsprechenden Experimenten.
So auch beim 25. Soundtrip. Den personellen Kern dieser Reihe sollte der Aachener Drummer Paul Lovens bilden, der jedoch verletzungsbedingt kurzfristig ausfiel. Stattdessen konnte das Musikduo Bertoncini und Lehn gewonnen werden. Beide leben augenblicklich in Wien. Der Pianist und Synthesizer-Spieler Thomas Lehn ist in der NRW-Szene kein Unbekannter, er und Tiziana Bertoncini an der Violine arbeiten seit 2002 in unterschiedlichen Formationen zusammen. Tiziana Bertoncini äußert sich begeistert darüber, innerhalb von zwölf Tagen an zwölf verschiedenen Orten mit jeweils unterschiedlichen Musikern arbeiten zu können. Die jeweils unterschiedlichen Musikerfahrungen für sie und Thomas Lehn und nicht zuletzt fürs Publikum machen für sie den besonderen Reiz dieser „Tournee“ aus.
In der Tat können die beiden in den verschiedenen Gruppierungen während der Soundtrip-Reihe ihre eigenen und sicher auch eigenwilligen Klangvorstellungen voll und ganz einbringen wie zum Beispiel bei dem Konzert im Wuppertaler ORT mit den beiden (!) Schlagzeugern und Perkussionisten Simon Camatta und Martin Blume und Pinguin Moschner an der Tuba, im Kunstmuseum Bochum mit Gunda Gottschalk ebenfalls an der Violine, Ute Völker am Akkordeon und wieder Martin Blume an den Drums.
Das Wuppertaler Konzert ist schon allein aufgrund der Instrumentierung mit zwei Drumsets und der Tuba in großen Teilen lautstark und mit viel Power ausgeführt, v.a. Simon Camatta s Schlagzeug und Perkussion geben dem Konzert immer wieder einen „Free“-Anstrich, der jedoch angesichts der ausgesprochen filigranen Spielweise von Pinguin Moschner und Martin Blume und dem perfekt eingespielten Duo aus Wien nicht dominiert, sondern sich zu einem stimmigen Gesamtklangkunstwerk fügt.
In Bochum beginnt das Konzert mit einem Duo-Set mit Tiziana Bertoncini und Thomas Lehn. Auffällig ist hier ein sehr ruhiges, geradezu tastendes Suchen nach einem gemeinsamen Flow, einer gemeinsamen Idee, Bertoncinis Violine zeigt mehr vorsichtige Andeutungen, kurze Läufe und Arpeggien, die Saiten werden mit dem Bogen angeschlagen, Töne verzogen. Vorherrschend steht der Violinenklang im Raum, was mit der analogen Klangerzeugung aus dem Synthesizer wunderbar korrespondiert. Thomas Lehn entlockt – wie im gesamten Konzert – seiner Klangzauberkiste mit drei Oszillatoren und einem Rauschgenerator eine schier unendliche Vielfalt von Klängen und feinen Nuancierungen von eher skizzenhaften Flächen, von Sirenen, von wummernden und schrillen Tönen, von Noise, von Rauschen. Die Geige mit ihren instrumententypischen Besonderheiten wird zum Teil per Mikrophon in den Synthesizer eingespeist, was den entstehenden Klangkosmos raffiniert erweitert. Insgesamt verbleibt der erste Set in einem äußerst ruhigen Mood.
Das ändert sich erwartungsgemäß in den folgenden „Tutti“: Der erste gemeinsame Set beginnt mit einem dissonanten Einstieg mit kurzen, geradezu entschleunigten Phrasen aller Akteure. Die beiden Geigen interagieren sozusagen im Soundduett, indem kleine Pattern oder nur Spielweisen aufgegriffen und moduliert werden, die Variationsbreite der Spieltechniken der Geigerinnen ist verblüffend. Der Synthesizer fügt sich hier passend ein. Ute Völkers Akkordeon nähert sich in ihrem Klangspektrum mal eher den Flächen und Klängen des Synthis an, mal mehr dem Orgelpunkt der Streicherinnen, mal vermeint man, melodiöses Material zu erkennen, mal – wie im letzten kurzen Set – setzt sie ihr Instrument auch perkussiv ein. Die relativ zurückhaltenden Sequenzen erfahren unmerklich eine dynamische Steigerung, es entsteht eine hohe musikalische Spannungsdichte. Auch der – sonst in der Soundtrip-Reihe eher unübliche – zweite Set verläuft zunächst in ruhigen, eher meditativen Bahnen, bis Martin Blume mit einem energischen Drumpattern einen Tempo- und Dynamikwechsel einfordert, der von den anderen MitspielerInnen aufgegriffen und zu einem furiosen Finale intensiviert wird.
Bei dem gesamten Konzert zeigt sich eine wirklich nahezu perfekte Interaktion aller Beteiligten, Instrumentierung und vor allem der klanglich-spielerische Einsatz der Instrumente erfolgt traumwandlerisch präzise, man kann sich in so manchen Momenten des Konzerts kaum eine passendere und packendere Form des Zusammenspiels vorstellen – man erlebt eine wirkliche Sternstunde der improvisierten Musik.
Glückwunsch zum 25! Einem Netzwerk, das häufig solche Sternstunden ermöglicht, und natürlich uns glücklichen Zuhörern kann man nur alles Gute für weitere 25 Runden wünschen!
Weitere Konzerte:
Freitag, 4.9.2015, Villa Post der VHS in Hagen
Samstag, 5.9.2015 im Bielefelder Bunker Ulmenwall
Sonntag, 6.9.2015 in der Black Box im cuba in Münster
Montag, 7.9.2015 in der Alten Kirche in Bonn.
Infos dazu: www.soundtrips-nrw.de
Duo-CD von Tiziana Bertoncini/Thomas Lehn: Horsky Park. Another Timbre at40