Soundtrack für die Dämmerung
Jazznacht beim Kultursommer auf der Burg Lüttinghof
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Eine riesige kreisrunde Fallschirmplane überspannte den großen Vorplatz vor der Wasserburg Lüttinghof, was Geborgenheit schaffte. Aber das Wetter hatte ja ohnehin mitgespielt. Und wo zunächst bei den angereisten weit über 400 Musikfans vor allem das gesellschaftliche Ereignis im Vordergrund stand, riss es die meisten doch mehr und mehr von den Stühlen. Die Macher von FineArtJazz hatte den Abend programmiert - und damit einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sich bei einem großen Freiluft-Ereignis wie diesem ein solider künstlerischer Anspruch und mitreißendes Partyfeeling bestens vertragen können.
Das aufgebotene Dreierpack für diesen Abend hätte keine besseren Kontraste liefern können. Da repräsentierte die Sängerin Myra Maud einen ganz und gar weltumspannenden Hintergrund: Aus Madagaskar sowie Martinique stammen ihre Vorfahren. Groß wurde sie im multikulturellen Schmelztiegel von Paris. Myra Maud hat auf der großen Open Air Bühne eine profunde Band an ihrer Seite und das Publikum konnte sich regelrecht umfasst fühlen von der geballten Lebenslust und ansteckender Wärme, die von dieser Sängerin ausgeht. Myra Maud ist in allen möglichen Stilrichtungen zuhause und ihre Band ebenso: Jazz, Funk und Soul, aber auch Gospel und Hip Hop sind die Ingredienzien für eine zündende Melange. Solche reichen Früchte erwachsen bei ihr aus einem afro-karibischen Nährboden. Klar, dass da die Polyrhythmik des schwarzen Kontinents die Tanzbeine vor Herausforderungen gestellt hätte – aber es ging zu diesem Zeitpunkt eh noch ruhig und gesetzt zu im Publikum. Aber die Botschaft kam trotzdem über, vor allem, weil die Songs dieser Band so viel positiven Enthusiasmus versprühen. Ein improvisatorisches Bravourstück war auf jeden Fall die Schlussnummer: Da ging es im fliegenden Wechsel durch die Musikstile der Kontinente – treibender Jazzfunk, chilliger Reggae, rituell anmutende indische Stilzitate und dann wieder Afrika als ewige Quelle - das alles vollzog sich im fliegenden Wechsel der Rhythmen, Beats und Stile.
Joo Kraus ist ein Trompeter aus Ulm und spätestens seit er den ECHO-Jazzpreis bekommen hat in aller Munde. Kein Fehler ist dies, wirkt doch sein intensives, phrasierungsstarkes Spiel wie eine einfühlsame Singstimme. Er und seine Mitstreiter vom Tales in Tones Trio sorgten ebenfalls für ganz viel Atmosphäre: Tastenmann Ralf Schmid hatte den Flügel gegen ein Fender Rhodes ausgetauscht. Folge war eine weit tragende Klangwelt, die sich gerade in lauer Sommer-Open-Air-Stimmung besonders gut machte. Und die Rhythmusgruppe bestehend aus Veit Hübner, Kontrabass und Torsten Krill, Schlagzeug brachte den passenden Groove präzise auf den Punkt - Coolness-Faktor pur in jedem Moment! Und die vier huldigten einem Schwerpunktthema: Nämlich den vielen Meilensteinen der jugendlichen Musiksozialisation. Viele Stücke von Michael Jackson oder Sades ewiges „Smooth Operator“ wurden zum Sprungbrett für schwerelose Cooljazz-Arrangements. Die melodische Kraft guter prägnanter Popsongs war dabei einmal mehr eine unerschöpfliche Quelle für improvisatorische Fantasie. Später legte die Band nochmal einen Hebel um, zauberte mit lauschigen Chet-Baker-Balladen den idealen Soundtrack für die Abenddämmerung.
Keine Unbekannten auf der Wasserburg Lüttinghof sind die zehn Mitstreiter vom „Club des Beluga“. In Wuppertal gegründet, lebt hier eine Art beständiges Kollektiv, in dem sich viele profunde Musiker unserer Region vereinen, etwa Trompeter Lars Kuklinski, der omnipräsente Pianist und Keyboarder Roman Babik oder der Drummer Mickey Neher. Sie alle konstituieren hier eine Formation, in der ständig ganz viel Bandchemie auf dem Siedepunkt reagiert, wo aber auch ganz viele unerschöpfliche solistisch-improvisatorische Geschichten erzählt werden. Und dieser illustre, hemmungslos spielbesessene Club setzte bei dieser Festivalausgabe in punkto mitreißender Partystimmung nochmal locker eins drauf gegenüber dem Vorjahres-Auftritt: Rock und Funk ließen die Luft brennen, breitwandige Swing-Einwürfe, Ennio-Morricone-Gitarrenschmelz, Soul, Gospel, aber auch die unmittelbar an die Beine appellierenden Triphop- und Nujazz-Beats machten das Feuerwerk über zwei mitreißende Stunden perfekt, ließen es in den Stuhlreihen immer leerer und im Raum vor der Bühne schon nach kurzer Zeit brechend voll werden. Abwechslung bietet der Club des Belugas bekanntlich in der Präsentation seiner Sängerinnen. Eine überaus gute, ja charismatische Figur machte Anna Luca bzw anna.luca, die wirklich eine große, sinnliche, soulig deepe Stimme ihr eigen nennt - und hier ihre ganz eigenen, sehr persönlichen Songs in Szene setzte. Dann – kurios genug – erfolgte eine Ablösung am Gesangsmikro. Dann nämlich übernahm die gebürtige Kalifornierin und heute in Wuppertal lebende Blues-Sängerin Brenda Boykin das Regiment – und wie! Sie legte alle Hemmungen ab, bejahte das Unanständige, da ja Samstagabend ist, gab Zoten und Geschichten zum besten – und ihr tiefschwarzes, raues kehliges, mit dem ganzen Bluesschlamm des Missisippi Deltas getränktes Gesangstimbre war sowieso eine Macht für sich.
Alles in allem: ein Neustart nach der Sommerpause voller Leichtigkeit!