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„Sounds wrong, feels right“

Eine Nacht voller Überraschungen und aktueller Musik

Köln, 19.10.2015
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Bernd Zimmermann, Stefan Pieper

Der Kölner Stadtgarten ist kein Jazzclub, sondern eine Spielstätte für „Aktuelle Musik“. Auf diesen feinen Unterschied legt Reiner Michalke großen Wert. Aktuelle Musik heißt: Hier wird geforscht und weiterentwickelt, hier lebt der Klang der Gegenwart. Um möglichst viele Menschen darauf zu stoßen, ruft seit letztem Jahr die „Night of Surprise“ das ästhetische Abenteuer aus.

Das Konzept folgt dem bewährten Beispiel der Winterjazz-Nächte. Es gibt Kultur zum spontanen Hereinschnuppern - und dies ohne das „Investitionsrisiko“ eines Eintrittspreises. Stadt und Land fördern dieses Wagnis.

Michalke, der sich in der Menge treiben ließ, äußert sich am späten Abend zufrieden zur zweiten Ausgabe dieser besonderen Nacht: „Hier ist heute genau die Publikumsmischung versammelt, die ich mir immer wünsche“. Junge Leute treffen in der „Night of Surprise“ auf gesetztere Schichten, die Milieus scheinen zwischen Musik-Kennern und partywütigen Nachtschwärmern erfrischend durchlässig. Dieser Abend lebt von erfrischender ästhetischer Barrierefreiheit!

Der Franzose Pierre Bastien baut im Stadtgarten eine etwas versponnen wirkende Installation auf: Ein feines Räderwerk aus dem Fischertechnik- oder Metallbaukasten birgt rotierende Rädchen, filigrane Transmissionsriemen und zusätzliche Elementen aus Plastik und Papier. Drumherum Kabel, Mixer und Regler, die in Bewegung versetzen, verschalten, aufnehmen. Das eigentliche Wunder: Der französische Multinstrumentalist produziert alles andere, nur keinen abstrakten Wirrwarr. Stattdessen macht Pierre Bastien Musik – und wie! Geräusche entfalten durch rotierende Mechanik und trickreiche Bearbeitung unerbittlich pulsierende Rhythmik und zugleich eine hypnotische Klangpoesie entfalten. Mitten drin in diesem poetisch-verspielten Ballet-Mechanique soliert Pierre Bastien auf einer elektrisch verfremdeten Pocket Trumpet. Als wenn all dies noch nicht genug wäre, setzt sich alles optisch fort: Die ganze bizarre Installation wirft, auf eine Leinwand projiziert, ein stilisiertes Schattentheater. Auch die eingespielten Filmsequenzen brechen in keinem Moment aus der streng repetitiven, weil mechanisch vorgegeben Ästhetik aus. Warum dieser Künstler im Stadtgarten so genial agiert, scheint angesichts seiner Biografie kein Zufall: Er ist mit dem deutschen Rhythmus-Futuristen Jaki Liebezeit, aber auch mit dem französischen Großmeister in Sachen minimalistischer Spielzeuginstrumente, Pascale Comelade künstlerisch eng verbunden. Allein dieser Auftritt hatte schon die Anreise nach Köln gelohnt!

Phasenweise störte sich die Vielfalt im Stadtgarten gegenseitig- akustisch gesehen. Nicht zu Unrecht beschwerte sich Sebastian Grams beim Triokonzert über wummernde Bässe aus dem Studiokeller. Auf der Bühne zelebrierten Grams, sowie Haydn Chisholm, Saxophon und der Pianist Philip Zoubek einen kammermusikalischen, tiefe Ruhezustände auslotenden, frei atmenden Gegenwarts-Jazz.

Eine Etage tiefer machte ein Berliner Duo namens „Sunrise over a dystopic Future City“ seinem Namen bestens Ehre. Liz Kosack, Synthesizer und Christian Tschuggnall, Schlagzeug, gehen aufs ganze in einer extrem zugespitzten Duo-Konfrontation. Klangsalven explodieren im freien Spiel und die Fantasie durchmisst finstere Unterwelten. Reichlich obskur wirken die Vogelmasken, die beide während des Live-Auftritts tragen. Bei anderen Konzerten sollen auch schon mal die Zuhörer solche Maskierungen aufgesetzt bekommen haben. Damit aus Zuhörern Teilnehmer werden?

Einem kompromierten Kunstfaktor huldigte die Wiener, Pariser und Montrealer Konstellation „Where is the Sun“? Die Sonne ist hier tatsächlich weit weg. Die Aura, die hier von Instrumenten, Stimme, aber auch von der extrem eindringlichen Mimik von Isabelle Duthoit verbreitet wird, suggeriert durchaus eine Art expressionistische Endzeit-Stimmung. Mit ihr agieren Franz Hauzinger auf der Vierteltontrompete, sowie die Turntablism-Künstler „Dieb 13“ und „Martin Tétreault“. Letztere beide sind Masterminds dieser eigenwillig-grenzgängerischen Gattung, in der Vinylplattengeräusche und Scratches zum emanzipierten Ausdrucksmittel geworden sind. Reich an feinen Gesten und wagemutiger Klangfantasien lotete diese Darbietung die Randbereiche von Neuer Musik und freier Improvisation aus. Zuweilen evozierten aber auch heftige Ausbrüche eine Aura, die an Edvard Munchs „Schrei“-Gemälde erinnerte.

Viel mehr Licht und Wärme verbreitete später ein anderer: Der Wiener Drehleierspieler Matthias Loibner huldigt jener faszinierenden Disziplin, alte Instrumente in neue Kontexte zu stellen. Durch das Fehlen jahrhundertelanger abgeschliffener Konventionen birgt vor allem die Alte Musik mit ihrem manchmal etwas exotischen Instrumentarium sehr viel unverbrauchtes Entdeckungspotenzial. Dabei ist die Drehleier regelrecht modern, wie hier eine äußerst effektive Kurbelmechanik und eine rotierende Scheibe extrem stationäre Töne kreiert. Wenn Matthias Loibner nun die Kurbel seines Instruments dreht, füllt ein warmer, breiter Bordun den Raum. Viel Elektronik machte daraus einen weiten, flächigen Soundkosmos. Und mittendrin agierte Loibner als spielfreudiger, beredter Improvisator.

Derweil erbebte dass Kellergewölbe bei virulenten, harschen Klangwelten, wie sie der elektronische Club-Underground der Metropolen hervor bringt. Düster und ekstatisch zugleich artikulierte das Amsterdamer Duo Mutamassik viel Wut über eine aus den Fugen geratene Welt. Die Tanzbarkeit der heftig pulsierenden Klänge war dabei ebenfalls ein gewichtiges Statement. Zu diesem Zeitpunkt störten die Sitzbänke im Studio dannn doch - hier hätte es eindeutig mehr Bewegungsfreiheit bedurft.

Eine Befreiung für die Tanzwütigen war dann schließlich der finale Act im Konzertsaal, wo dann endlich auch die Stühle draußen waren. Entsprechend befreite Bewegungsorgien tobten um das Kairoer Trio „Islam Chipsxy und EEK.“ So geht es her, wenn in den Metropolen das nahen Ostens gefeiert wird! Zwei Schlagzeuger strapazierten die eigenen Trommelfelle, aber auch jene des Publikums zum Bersten, während Islam Chipsy als tobender Keyboarder Derwish den orientalischen Party-Ravesound von heute hinlegte.

Ganz groß bei dieser „Night of Surprise“ waren auf jeden Fall noch zwei andere, auch wenn Meryem Erkus und Nicole Wegener eher im Hintergrund oder am Bühnenrand agierten. Die beiden jungen Damen kuratieren in Köln eine Elektronik-Reihe „Sounds Wrong, feels right“. Allein dieser -dermaßen die Sache auf den Punkt treffende! - Slogan macht klar, wie gut die beiden wissen, was sie tun und wollen. Entsprechend wurden dem Besucher ganz viele faszinierende Momente mit aktueller Musik gerade währen der Konzertpausen zuteil. Da nämlich befreite ein fantasievoller Strom aus ruhigen und bewegten, dunklen und leuchtenden, abstrakten und rhythmischen Klängen zuverlässig von jedem Alltagslärm. So wie bei Meryem Erkus und Nicole Wegner lebt das von Brian Eno einst postulierte Ideal einer funktionalisierten Ambient-Musik im Klangdesign von heute in vorbildlicher Weise neu auf!

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