Some say our empire is passing
Laurie Anderson bei der Ruhrtriennale
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker |Ruhrtriennale 2018
Laurie Anderson gibt im Rahmen der Ruhrtriennale 2018 in Essen in Kooperation mit Ultima Oslo Contemporary Music Festival ein Premierengastspiel – und die Generation Ü60 kommt in Scharen. Als Multimedia-Gauklerin eine Legende, schafft sie es offensichtlich auch noch in einem Alter, wo sich andere schon lange in einem bequemen Fauteuil zur Ruhe gesetzt haben, ihre Anhänger zu mobilisieren.
Auf der Rot ausgeleuchteten Bühne in der Lichtburg Essen stehen ein elektrisches Fender-Piano, an dem ihre mit Stahlsaiten gespannte, elektronisch verstärkte Violine zwischengeparkt ist, ein Laptop, eine minimalistisches Lesepult – und auch ein ebensolcher Sessel. Von Ruhe allerdings keine Spur, fungiert er als temporärer Ruhepunkt ihrer permanenten Unruhe. Ein Setting mit Texten, Stimme, Violine, Live-Elektronik und Visuals, in dem sie in den folgenden 90 Minuten eine Lektion ihrer Vision von einer anderen Zukunft erteilt: The Language of the Future.
Mit einer Multi-Media-Music-Performance Anderson like erzählt sie Geschichten. Ihr extraordinäres Storytelling, von einer wabernden Elektronik-Bass-Linie begleitet, dominiert über ihre musikalischen Kompositionen. Eine umfangreiche Buch-Partitur weist darauf hin, dass die Performance der Künstlerin einer Konzeption folgt, die mit Text und Musik stringent durchkomponiert ist. Keine Improvisation, sondern eine Inszenierung als Hohepriesterin des Pops.
Some say our empire is passing, eingeblendet auf der Bühnenwand, nennt ihre Botschaft gleich zu Beginn. Wie auf einer alten Naturstein-Schultafel geschrieben, wischt ein magischer Schwamm den Text weg und ersetzt ihn mit ihrer Handlungsperspektive: And I say to myself….
Zwischen wechselnden Visuals, wie Schneefall in einem Wald, himmelwärts ragende Baumwipfel, unscharfes Herbstblätter-Raunen, Bits & Bytes-Geflacker, Wassertropfen auf einer Glasscheibe, die sich bemüht bedeutungshuberisch geben, wird immer wieder zentral das interstellare Universum als Standbild eingeblendet.
Das Intro resümiert The future is behind you; Laurie Anderson begrüßt die Zuschauer mit einem lässigen Hello. Ihre Performance ist angerichtet, aber noch nicht vollständig angestimmt. Ihre wimmernde, über-/untersteuerte Violine navigiert sie von einer Geschichte zur nächsten. Sie beginnt mit der reinigenden Metapher des Hurricans Sandy 2012, der auch ihr inventarisiertes Werk durcheinander gewirbelt, teilweise sogar fortgeblasen hat, zu erzählen. Die Replik Desaster as a start of new real things verweist auf ihr 2013 veröffentlichtes Werk Landfall, das Situationen von Zerstörung und Neubeginn reflektiert.
Sie ist, wie sich im nächsten Moment zeigt, der Vorspann für das von ihr antizipierte Horrorszenarium des grauen Novembertags der US-Wahl 2016. Anderson stimmt ein ohrenbetäubendes Kreischen gegen diesen God-dammend shit an. Viele in der Lichtburg kreischen enthemmt mit. Ihre Lektion: Wir sind in der Geschichte an einem existentiellen Punkt, dem letzten Kapitel des Kapitalismus angekommen. Revolution oder Apokalypse? Für sie ist klar, dass jedenfalls eine andere Zeit angebrochen ist.
Mit Reflexionen ihres poetischen Aktivismus, wie I’m wrote a letter to John F. Kennedy oder ihre Buch-Verehrung von Herman Melville'sMoby-Dick und Thomas Pynchon's Gravity's Rainbow weitet sich zur selbstverliebten Attitüde. Sie sei so angetan von den Büchern, erzählt sie mit einer elektronisch modulierten, tiefen Männerstimme, dass sie beabsichtigt habe, Pynchons Buch als Vorlage zu einer Oper für Solo-Banjo zu nutzen: Item the life.
So erzählt sie weiter von Star Wars über William Seward Burroughs umflirrten Kosmos The story oft the dark side of America. Ihre Performance geriert sich mit zunehmender Zeit mit einem religiös anmutenden Pathos zu ausgestelltem Künstler-Posing; electronics in my mouth-Gezwitscher inklusive.
Damit es auch jeder im Saal versteht, gibt sie in deutscher Übersetzung künstlerischen Nachhilfeunterricht á la Laurie Anderson: Menschen, die ungern für Abstraktion kämpfen. Als wolle sie sich selbst zwischen Vergangenheit und Zukunft vergewissern, begleitet sie an dieser Stelle ein einziges Mal ihre vorproduzierte, gesampelteStimme mit ihrer Markenzeichen-Violine. Manche hätten davon sicher gern mehr gehört.
Nachdem sie rhetorisch bedeutungsschwer feststellt, every thing in the whole world is love….desire to be free, gipfelt ihr ausgestelltes Storytelling mit der Preisgabe ihres größten Verlustes. Ihr fehle das Gespräch mit ihrem verstorbenen Ehemann Lou Reed, der es verstand, mit Tai Chi in einer mit Ying & Yang ausbalancierten Form das Unsagbare auszudrücken. Zur Begeisterung etlicher Zuschauer tanzt Anderson im grünen Hoffnungslicht eine Tai-Chi-Sequenz.
Mit ihrer Botschaft, dass alle Verluste nur verdeutlichen, dass letztlich die Dinge ihre Bedeutung verlieren, verabschiedet sie sich überzeugt: Reaching a brand-new world, timeless.
Diejenigen, die an ihr vor allem schätzen, dass sie anstelle von Antworten die richtigen Fragen stellen will – Wie kann man das, was man hört und sieht, noch glauben? -, mögen an diesem Abendbestätigt finden, dass Laurie Anderson vormacht, wie man sich in einer Welt permanenter Grenzüberschreitungen orientieren kann. Die Anderen müssen ihren eigenen Modus operandi selbst finden.
Anmerkung zu den Fotografien: Dem Fotograf war es lediglich erlaubt, die ersten zwei Minuten (!) der Performance zu fotografieren.