Smooth Surfing durch die Winternacht
Lee Ritenour live
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Einen Musiker mit Legendenstatus in die Bochumer Christuskirche zu bekommen, ist schon eine Leistung, Veranstalter Thomas Wessel gelingt dies in erstaunlicher und anerkennenswerter Weise ziemlich häufig. Mit Lee Ritenour nun steht ein Altmeister an der Gitarre (Jg. 1952) auf der Bühne. Die 40 Solo-Alben und mehr als 3.000 Studioaufnahmen sieht man dem Mann von der Westküste nicht unbedingt an, relaxt wirkt er insgesamt, erst recht, wenn er in den kurzen Pausen seines Spiels mitunter zum Cocktailglas greift. Aber man hört es allerdings vom ersten Ton, vom ersten Riff an: Hier spielt ein versierter Routinier, ein flinker Saitenakrobat, der alle Register des Gitarrenspiels beherrscht und mit seiner Gibson einen unverwechselbaren eigenen „smoothen“ Ton erzeugt. Allerdings hinterlässt der gesamte Abend beim männlich dominierten Publikum in überwiegend Ritenours Altersklasse den etwas schalen Beigeschmack des allzu Routinemäßigen: Captain Fingers kann seinen Stallgeruch des ausgefuchsten Studiomusikers kaum verbergen, sein Spiel, so raffiniert und virtuos es auch sein mag, bringt nicht viel Neues oder Überraschendes, seine Freundlichkeit gegenüber dem Publikum mit gefrierendem Lächeln wirkt allzu aufgesetzt.
Seine Mitspieler sind: Melvin Lee Davis am Bass, der Kölner und jetzt als Professor der Abteilung Jazz und Populäre Musik an der Hochschule für Musik Mainz tätige Jesse Milliner am Piano und den Keyboards und Wes Ritenour am Schlagzeug.
Mit Village beginnt der Abend: Ritenour zeigt sein typisches Spiel, ausgehend vom ostinaten Lauf und Riffs, die zu den zum Teil waghalsig schnellen, aber letztlich doch bekannten Arpeggien und Akkorden führen.
Neben bekannten Stücken wie u.a. Lay It Down, A Little Bit of This And a Little Bit of That oder Rio Funk präsentiert das Quartett zwei Titel von Ritenours letztem Album A Twist Of Rit: Pearl und Wild Rice. Zitate in der Spielweise der großen Vorbilder Wes Montgomery und Joe Pass sind unverkennbar, aus dem 1993 erschienen Album Wes Bound wird der titelgebende „Klassiker“ mit ausschweifendem Gitarren-Solo und einem Keyboard-Drum-Duett gespielt. Mit gewissem Vaterstolz weist Ritenour darauf hin, dass sein Sohn Wes (!) im gleichen Jahr geboren sei. Aus dem neuen Album folgt mit Pearl ein ruhiger Solo-Part von Ritenour mit Western-Anklängen und anschließend Wild Rice, beginnend mit einem Unisono-Intro von Gitarre und Bass, das sich zu einer mittanzfähigen Funk-Nummer steigert und sich zu einem Vater-Sohn-Duett öffnet. Anschließend gibt Wes Ritenour ein Drum-Solo, bei dem der ungestüme Youngster sich am Schlagzeug austobt. Wie bei dem ganzen Konzert kann man dessen Leistung durchaus anerkennen und wünscht ihm mit zunehmendem Alter vielleicht auch etwas mehr Subtilität beim Spiel. Es folgt ein furioses Slap-Bass-Solo von Melvin Lee Davis, der überhaupt an dem Abend in Bochum einen grandiosen Auftritt hat, indem er mit seinem 7-saitigen Bass oder als versierter Slapper am 5-Saiter jedem Stück einen raffinierten und mitreißenden Groove verschafft oder in einem Gesangssolo mit der Vocoder–Stimme seines Basses eine wunderschöne chorische Einlage gibt.
Der Smooth Jazz-Abend gibt ein perfektes Beispiel seines Genres, wirkt jedoch insgesamt zu gefällig und nun ja: kommerziell. Viele Besucher werden sich trotzdem über die perfekte Annäherung an das Bekannte und Beliebte gefreut haben.